"Ist es harmlos, historisierend zu bauen?"

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J. Michael Birn, "A Question of Lust - Der Berliner Lustgarten", 2007

 

Rekonstruktion und historisierendes Bauen sind diskursive Dauerbrenner, die nicht nur auf dem BKULT Weihnachtswunschzettel auftauchten. Auch in Berlin kochen diese Themen aktuell wieder hoch. Neben der nicht enden wollenden Diskussion um den Wiederaufbau des Berliner Schloss, dessen Grundstein im Juni gelegt werden soll, ist eine neue Debatte um Berlins gesamte „historische“ Mitte entbrannt. Für die meisten Architekten ist diese Debatte ein rotes Tuch. Lernen Architekturstudenten doch bereits im ersten Semester, sollten sie auf den Gedanken kommen, romanische Rundbogenfenster zu zeichnen oder eine italienische Plaza zu imitieren, dass man das Alte nicht kopieren darf und jede Gesellschaft die ihrer Gegenwart entsprechende Ausdrucksform finden muss.
Manche bezweifeln, ob dieses Mantra der Moderne noch gültig ist. Sie halten dagegen, dass sich die tabula rasa beim Wiederaufbau der deutschen Städte doch allzu oft als Irrweg erwiesen habe. Sind wir heute, nach dem vielbeschworenen Ende der Ideologien, nicht reif genug, unterschiedliche Identitätskonstruktionen auszuhalten? Sind ein paar wiederaufgebaute Schlösser und rekonstruierte Altstädte nicht also eher harmlos und im Interesse gesellschaftlicher Einheit sogar gut?

Auffällig ist der Graben zwischen den Architekten und der (gefühlten) Mehrheit der Bürger, also derjenigen, für die gebaut wird. Während die meisten Architekten sich bemühen, zeitgenössisch zu bauen, sind Neubauten im historisierenden Stil krachende Kassenschlager. Anstatt Leerstand gibt es Wartelisten. So sprach sich in Frankfurt ein Großteil der Bürgerschaft für eine Rekonstruktion des Hühnermarkts mit detailgetreuen Fassaden aus. Man ist sich einig: Das baukulturelle Erbe soll geschützt, erhalten und notfalls eben wieder aufgebaut werden, um die Identität unserer Städte zu bewahren – oder überhaupt erst wieder herzustellen. Moderner Architektur traut man dieses identitätsstiftende Potenzial kaum mehr zu. Entsprechend wird bereits seit einigen Jahren mehr und mehr „Altes“ wieder rekonstruiert oder gar neu aufgelegt.

Doch reichen Bürgerwille und Vermarktbarkeit  als Legitimation für historisierendes Bauen aus?  Und was genau ist aber der „Bürgerwille“? Anita Blasberg beschreibt in ihrem ZEIT-Artikel „Die schon wieder“ die Überalterung der deutschen Gesellschaft und wie die mächtige „Babyboomer-Generation“ (in Deutschland sind das die zwischen 1955 und 1969 Geborenen) durch ihre schiere Masse gesellschaftliche Positionen und Wertbilder auf Jahrzehnte besetzt. Was macht das mit einer Gesellschaft, fragt Blasberg, wenn die Generation der unter 45Jährigen bei der Produktion von Gesellschaft dauerhaft aufs Abstellgleis gesetzt wird? Und was macht das mit unseren Städten und Häusern? Ist die Sehnsucht nach dem Alten am Ende eine Sehnsucht der Alten? Zumindest gehören diejenigen, die überwiegend bestimmen, was, wo und wie gebaut wird, dieser „Babyboomer-Generationen“ an. Die meist älteren Befürworter einer historisierenden Architektur formieren sich mit Macht und machen ihr Geld und ihren Einfluss geltend, um ihre Überzeugungen in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Von den Jüngeren hört man  dagegen immer weniger. Tolerieren sie also den historisierenden Trend im Sinne eines postmodern-permissiven „Anything goes“ oder sind sie demographisch bereits derartig in der Diaspora, dass ihre Vorschläge zur Gestaltung unserer Gesellschaft schlicht nicht mehr an die Oberfläche des Diskurses dringen?

Genau diese „Jüngeren“ werden sich aber mit den Konsequenzen jener gesellschaftlichen Entscheidungen auseinander setzen müssen, die andere heute für sie treffen. Sie werden zukünftig möglicherweise in Städten leben, in denen die Spuren der (Nachkriegs-)Moderne getilgt und durch rekonstruierte Strukturen einer urbanen Vorgeschichte ersetzt wurden, ohne Raum zu lassen für zeitgenössische Ideen und Bedürfnisse. Sie werden möglicherweise in Häusern wohnen, die vollkommen auf die Kleinfamilie ausgerichtet sind, obwohl dieses Modell schon heute nicht mehr die gesellschaftliche Realität widerspiegelt. Geht mit der demografischen Überalterung also auch eine kulturelle Überalterung unserer Gesellschaft einher? Ist es also wirklich harmlos, historisierend zu bauen?

 

Michael Hepp / 9.4.2015 / 13:30

Ja ...

Beitrag / KommentarDie deutschen Städte müssen wieder schöner werden und die Schönheit muß in der Architektur wieder neu entdeckt werden. Am besten mit Vorbildern aus der historischen Vergangenheit, denn die Schönheit von echten historischen Altbauten ist wunderbar und unvergänglich. Erst Recht wenn wir solches Bauen auf breiter Ebene wieder aufgreifen.
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Moritz Laros / 19.10.2013 / 20:46

Ja ...

Ich befürworte nicht nur Rekonstruktionen, sondern auch Neubauten im historisierenden Gewand in vollem Umfang. Dennoch hätte meine Antwort eigentlich "Nein" lauten müssen. Warum? Wegen der Frage an sich. Welches Gegenteil suggeriert denn das Wörtchen "harmlos"? Soll das historisierende Bauen, wenn es nicht harmlos ist, gar gefährlich sein? Diese Architektur möchte ich sehen, die eine ernstzunehmende Gefahr bedeutet! Doch zurück zum eigentlichen Kern. Es ist nicht harmlos historisierend zu bauen. Es ist - und ich beziehe mich hier nur auf das städtische und dörfliche Umfeld, nicht auf das Bauen in freier Natur - die einzige vernünftige Möglichkeit. Und das aus verschiedenen Gründen:      - Logik. Ein Stil, der sich radikal aus der Antithese zur Vergangenheit definiert, basiert durch diese Radikalität zwangsläufig auf diesem einen Grundgedanken. Wann hat sich dieser Grundgedanke also das erste Mal manifestiert? 1908, in "Ornament und Verbrechen"? 1925, im Plan Voisin? Oder 1958, im Seagram Building? Wie auch immer - er ist, nüchtern (also wie es der Freund der Moderne schätzt) betrachtet, vergangen. Somit ist der dominierende, in pedantischer Abgrenzung zum historischen Gefüge bestehende Stil entweder unmöglich, da er sich selbst verleugnen müsste, oder selbst nur ein Abklatsch der Vergangenheit. Ein Abklatsch, der seine eigene Vergänglichkeit einfach noch nicht zugeben will gegenüber der aufbrandenden Rekonstruktionswelle, die die Bevölkerung bewegt. Das führt uns zum Aspekt der      - Philosophie. Wir sehen hier also weithin vertretene Aversionen der Bevölkerung gegenüber vermeintlich zeitgenössischer Architektur. Ist es daher nicht irgendwie... auffällig, dass man jedem Menschen die Eigenschaft der Kritikfähigkeit hoch anrechnet, wohingegen die Phalanx der Modernisten oft das genaue Gegenteil tut und ihren Kritikern jedwelche intellektuellen Fähigkeiten, sich mit Architektur auseinanderzusetzen, abspricht? Wir sind an einem kritischen Punkt angelangt: Im Bestreben, eine Bildungsgesellschaft zu schaffen, hat sich das Wesen der intellektuellen Auseinandersetzung zu einem Mittel der Macht gewandelt. Das Gegenteil des Intellekts ist die Dummheit, und die Dummheit ist allgemein als schlecht anerkannt. Es wird also nur der gehört, der es schafft, sich intellektuell darzustellen. Wer also abstrakt - also auch im Gegensatz zum lokalen historischen Formenkanon! - darstellt und daran heruminterpretiert, wird als geistig regsam wahrgenommen; ihm bringt man Respekt entgegen, und mit Respekt kommt Narrenfreiheit. Ja, Narrenfreiheit. Denn ob das, was da heruminterpretiert wird, wahr ist, wird kaum mehr infrage gestellt. Doch ist ja gerade der Kern des Intellektualismus die subjektive Meinungsbildung. Wenn aber der Künstler selbst sein eigenes Werk interpretiert und diese Interpretation den vermeintlich Minderbemittelten aufdrängt, beginnt die eigentliche Diktatur. Eine Diktatur der Marketingstrategen, die sich als intelligent darstellen. Und das ist die eigentliche Gefahr. Absolutistische Schlösser als Bildungsstätten, feudale Sakralbauten in der Einkaufszone, imperiale Denkmäler im jugendlichen Stadtpark - die bringen keine überkommenen Systeme. Darstellungsbedürfnisse im als demokratisch proklamierten Gewand tun dies. Doch wer sagt uns also, dass diese Aversionen in breiten Gesellschaftsschichten existieren? Nun, das ist wohl die...      - Erfahrung: Ob Jung oder Alt, ob Arm oder Reich, ob Belesen oder Bildungsfern, ob Spießer oder Freigeist - mit wem ich auch über Architektur diskutierte, es herrschte einhellige Übereinstimmung mit der Theorie: Früher konnte man schöner bauen. Nur in der Öffentlichkeit, dem Ort, wo jeder seine Geistesergüsse in die weite Welt hinausposaunen kann, stieß ich bisher auf Widerspruch. Jedoch mit der für Medien typischen Eigenart, dass so eine zweidimensionale Labertasche nur selten die Antworten der Zuschauer zu hören bekommt. Ich weiß, Argumente aus dem persönlichen Umfeld sind schwach. Aber auf wen soll ich sonst zurückgreifen? Welchen einfachen Menschen hört die Elite denn an, dass man sich auf ihn beziehen könnte?      - Und schließlich - Zeitgeist: Wir leben in einer Zeit, die nach wie vor einen Wendepunkt markiert - für die Gesellschaft, für die Geschichte, für die Menschheit, ja, sogar für die Welt an und für sich. Mag dramatisch klingen, ist aber Fakt. Nun mag einer sagen, das sein doch Wasser auf die Mühlen der Modernisten? Neue Zeit, neuer Stil, das passe doch?! Nein. Das tut es nicht. Leider. Man sehe sich doch nur einmal um! Wandel. Vernetzung, Unsicherheit. Die ultimative Selbstverwirklichung unserer Zeit, das ewige "Du-kannst-alles"-Geschrei, hat eine Schattenseite: den Verlust des Bezugs zum Wesentlichen, zum eigenen Maßstab, zur Identifikation mit einem größeren Zusammenhang. Identifikation mit Werten - die in der stetigen Jugendrebellion verloren gehen (das sage ich selbst als Jugendlicher, wohlgemerkt!). Mit Worten - die im Erneuerungswahn (kommt uns irgendwie bekannt vor, ne?) verloren gehen. Mit Tradition - die im Verschwimmen der Grenzen versinkt. Was meinen sie sonst, warum derart viele Ratgeber die Bestsellerlisten sprengen? weil die Menschen in dieser Rastlosigkeit Rat suchen! Sicher, dieser Wandel, über den ich hier philosophiere, hat vieles verbessert. Aber eben auch weniges verschlechtert. Es ist also alles andere als perfekt, da diese eine Konstante fehlt. Was bleibt also? Was hat Bestand? Steine. Denkmäler. Häuser. Großbauten. Nun wurde schon angeführt, dass ein zu großes Misstrauen in die Moderne herrsche, um sie etwas schaffen zu lassen, was Identifikation mit sich bringt. Aber vielleicht sollten sich sich diejenigen mal an die eigene Nase packen und überlegen, ob dieses Misstrauen nicht vielleicht begründet ist. Halten wir zu guter letzt fest: Das historisierende Bauen ist nicht gefährlich. Es ist nicht harmlos. Es ist gut. Es ist nicht Kitsch. Es ist essenzielle Identität. Es ist nicht falsch. Es ist real. Es ist kein Schritt zurück. Es ist der richtige Weg. Es der Weg nach vorne. In eine Zukunft, die wieder Mut hat, zurückzublicken. Mut. Mut, sich über die selbstauferlegte Doktrin hinwegzusetzen. Das fehlt der Moderne des 21. Jahrhunderts. Und vielleicht auch der der Folgenden.
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Andreas Metzger / 25.6.2013 / 9:40

Dipl.-Ing.(TU)

Ja ...

Abolut harmlos, schließlich wird damit ja keinem Menschen Schaden zugefügt. Im Gegenteil: Unsere durch Krieg und modernistische Architektur zerstörten Städte brauchen endlich wieder Ihre alte Identität zurück. Das geht nur mit Rekonstruktionen. Gerade wir unter 40-jährigen sehnen uns nach den wunderbaren alten Ensembles, die durch Bomben und Abrißwahn zerstört wurden.
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Gerhard Meyer / 20.6.2013 / 7:55

Dipl.-Ing. (TU)

Ja ...

Ich bin vom Alter her noch keine 40 Jahre und freue mich sehr über den Wiederaufbau historisch wertvoller Gebäude. Was sind die Gründe?Mit einer Romantisierung der "alten Zeit" hat das nichts zu tun. Die, so habe ich im Geschichtsunterricht (verkürzt wiedergegeben) gelernt, Bestand vorrangig aus zwei Weltkriegen und davor aus viel Armut für den "Otto-Normalbürger". Der wahre Grund ist schlicht und einfach die Leistung oder besser gesagt das Versagen der Nachkriegsarchitektur und die brachiale Trivialisierung der Fassaden von Bauten heute.Vielfach ähneln diese Bauten simplen, gesichtslosen Containern, ohne Seele und Individualität, die überall stehen könnten. Diese Gestaltungslosigkeit und die oft langen glatten Fassaden empfinde ich als unangenehm. Auch die blanken Betonfassaden mit angesetzter "Patina" (siehe Bundeskanzleramt und die Bauten drum herum) wirken in meinen Augen einfach nur verdreckt. Wie reich gestaltet sind da die Fassaden der Gründerzeit und vieler Bauten des 18. und frühen 19 Jahrhunderts in Form und Farben. Viele Häuser sind individuelle Meisterwerke der Gestaltung, nicht zuletzt durch viele liebevolle kleine Details. Umgeben solcher Bauten fühle ich mich einfach wohl. Die heutige Zeit kann in diesem Bauten z.B. ihr Wissen über Trittschallschutz oder Steuerungstechnik beisteuern, womit auch der Bogen zum aktuellen Stand der Technik gelungen wäre.      
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Stephan Riedel / 17.6.2013 / 17:31

Ja ...

Beitrag / KommentarDer Wiederaufbau eines Teiles der Frankfurter Altstadt wird sogar überwiegend von Leuten der Altersgruppe bis 25 Jahre beinahe durchgehend und vor allem nachdrücklich befürwortet - es ist eine reine und so nicht haltbare Unterstellung, dass sich die junge Generation mit einer historisierenden Bebauung nicht identifizieren könnte. Auch die Fragestellung an sich ist irgendwie dämlich - das Gegenteil von harmlos ist gefährlich - was um alles in der Welt soll bitte an historisierender Bebauung gefährlich sein ? Stattdessen sollten sich die Initiatoren einmal fragen, was die Anziehungskraft einer Stadt tatsächlich ausmacht - bestimmt keine nichtssagenden Rasterfassaden oder anonyme Blöcke aus Sichtbeton - das wollen die "babyboomer" nämlich gerade nicht - das hat sich nämlich nicht bewährt !
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Markus Erich-Delattre / 16.6.2013 / 19:09

Ja ...

Ist es harmlos, historisierend zu bauen? Zunächst Ja! Gegenfrage: Ist es harmlos die Menschen zur Kälte zu erziehen oder ist eine Zwangsbeglückung der Bürgerinnen und Bürger  durch so genannte Designhäuptlinge zulässig? Viele Menschen; die ArchitekturnutzerInnen wünschen sich in kleinteiligen, nutzungsgemischten Quartieren zu wohnen. Sie befürworten eine emotionale Architektur, unterschiedliche Fassaden, Ornament und Dachformen. Woher nehmen sich die o.g. Häuptlinge das Recht die Wünsche der Menschen lächerlich zu machen? Heute ist letzlich "Alles" Retro. Warum kritisieren die unentwegten Funktionalisten nicht den Bauhaus-Historismus oder den trendigen 60er Jahre Retro-Futurismus? Der Begriff der "Moderne" ist unbestimmt. Die Moderne beginnt nicht erst nach dem Ersten Weltkrieg! Der Streit Stein und Holz vs. Stahl und Glas oder offen vs. geschlossen verhindert ein intelligentes Gespräch über das Bauen. Es ist höchste Zeit den stupiden Schlagabtausch Tradition vs. Moderne zu überwinden.  Beitrag / Kommentar
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Ralf Wendel / 14.6.2013 / 22:02

Examinierter Altenpfleger.

Ja ...

Die These der "alten Generation" teile ich nicht. Mit 36 Jahren zähle ich mich zur jüngeren Generation, die angeblich bei der Gestaltung zu kurz kommt. Es ist auch ein deutlicher Wunsch der jungen Menschen, daß deutsche Städte wieder attraktiver und grobe Fehler des Nachkriegs-Wiederaufbaus ausgebügelt werden. Eigentlich kenne ich niemanden in meinem Alter, der einen schöpferischen Neubau einer Rekonstruktion vorziehen würde. Denn die allermeisten "modernen" Neubauten sind kein Stück ästhetischer als die große Masse der Zweckbauten aus den 1950er, 60er und 70er Jahren. Das Vertrauen in die heutige Architektenschaft ist dahin. In vielen Jahrzehnten wurde eindrucksvoll und ausgiebig bewiesen, daß es der zeitgenössischen Baugestaltung nicht möglich ist, einen ansprechenden Stadtraum zu schaffen. Und selbst wenn noch über viele Jahre Nachkriegshäuser abgerissen und historische Bauten rekonstruiert werden, wird es noch immer massenhaft Anschauungsmaterial der Wiederaufbaujahre geben. Die Sorge, es könne bald alles verschwunden sein, halte ich für völlig abwegig. Es ist mir nicht bekannt, woher die Behauptung kommt, aber die Befürworter einer Rekonstruktion sind nicht alles "Babyboomer". Soviel ist mal klar. Auch ich habe für das Berliner Schloss gespendet.
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Florian Stocker / 14.6.2013 / 8:40

Architekt Remshalden

Jein ...

Fata Morgana am Taksim Platz Um Missverständnisse auszuschließen, ich bin ein Bewunderer der islamischen Architektur, die ich Boston studieren durfte. Es sollte auch für einen Christen möglich sein, die erste Sure mit den Brüdern und Schwestern der Buchreligion zu sprechen.Doch die Umwälzungen am Taksimplatz bieten eine schwindelerregende Bauhistorie voller Projektionen und Missverständnisse. Ich möchte dem kolonialen machtgetrübten Blick folgen, in dem die Religion keine Rolle spielt.Auf der grünen Insel Gezipark in Boomtown Istanbul soll eine ehemalige Kaserne ottomanisierend an der Außenseite mit westlichem Konsumangebot im Inneren errichtet werden. Wird hier osmanisch historisiert mit dem Ziel einer Werterestauration? Wenn wir die Fassade der ehemaligen Halil-Pascha-Topçu-Kaserne von 1780 betrachten, sehen wir keine klassische osmanische Architektur. Wir finden russische Zwiebelturmhauben und maurisch-assyrisch-indische Versatzstücke. Hier repräsentierte die Elitetruppe der Janitscharen osmanische Werte, wohl vor dem Hintergrund des damaligen osmanischen binnenkolonialen Einflussgebietes. Geplant wurde das Gebäude von dem armenischen Architekten Krikor Amira Balyan, der zeitweise wegen Religionsstreitigkeiten untertauchen musste.Für was soll dieses im ottomanischen Zuckerbäckerstil mit islamisch kolonialexotischen Versatzstücken errichtete Gebäude stehen? Klassische osmanische Baukunst, die das goldene Zeitalter in Erinnerung ruft, sieht anders aus. Sinan's Süleymaniye-Moschee aus dem Jahr 1557 hat mit ihrem imperialen zeitlosen Stil das Geschichtsbild türkischer Architektur und die westliche Sicht auf sie geprägt. Sie hat römisches Kuppelwerk und euklidische Minarette. Sie knüpft nahtlos an die osmanisierte Hagia Sophia an, dem letzten römischen Prachtkuppelbau, den Sinan durch zwei Minarette zur Ayasofya ergänzte.Die Halil-Pascha-Topçu-Kaserne hat hiermit sehr wenig zu tun. Warum identifizieren sich konservative Kreise mit dem eklektischen Stil des armenischen Architekten? Hier erscheint der koloniale exotische Blick der weströmisch geprägten Hälfte Europas des 18. Jahrhunderts seltsam gespiegelt, gebrochen und verformt.Wäre eine Rückbesinnung auf die römischen Wurzeln in Ost und Westeuropa nicht dankbarer, zumal hier alle auf den islamischen Bemühungen zur Bewahrung des spätantiken Wissens aufbauen? Eine tatsächlich europäische Baugeschichte, die das rationale Atatürk-Kulturzentrum am Taksimplatz eher wiederspiegelt.In diesem geschichtlichen mäandrierenden Bett des Gezi Parks wird unser postkolonialer Blick dreifach gespiegelt und seiner römisch-griechischen Wurzel entrissen. Wie kann es möglich sein, dass hierin imperiale, rückwärts gerichtete Gefühle genährt werden können. Bricht hier etwas auf, das selbst das Berliner Stadtschloss im Unterbewusstsein einer nationalen Gemeinschaft umtreibt? Der Palast der Republik musste weichen, das Atatürk Kültür Merkezi, AKM, steht nach Teilsanierung auf der konservativen Abschussliste des Erdogan Staates.Ist es gefährlich historisierend zu bauen? Ja, wenn nicht die kulturellen Wurzeln beherzigt werden sondern nicht reflektierte Nationalismen befördert werden.Architekturstudium an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste Stuttgart, Massachusetts Institute of Technology Boston, Berlage Institute Amsterdam, Lehrtätigkeit am M.I.T. und an der Universität Karlsruhe, 2000 Gründung Architekturbüro Stocker BDA bei Stuttgart
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Redaktion BKULT / 10.6.2013 / 9:50

Jein ...

 Resümee Auch wenn der Neubau des Berliner Schlosses längst beschlossene Sache ist und seine Grundsteinlegung vor der Tür steht, scheinen wir mit unserer Frage nach dem historisierenden Bauen in genau dieses Wespennest gestochen zu haben. Die von BKULT angeregte Stoßrichtung, ob die Sehnsucht nach dem Alten etwa eine Sehnsucht der Alten ist, trat davor in den Hintergrund. Geschmack und ästhetische Werte seien keine Frage des Alters. Arno Lederer beschreibt die Distanzierung der nächsten Generation von der vorausgegangenen als „normalen durchaus gesunden Generationenkonflikt.“ Die SchlossFreiheit konstatierte jedoch in der aktuellen Baupraxis das „Prinzip Herodes“, wo Veränderungen und neue Ansprüche vor allem durch die jüngeren Generationen kein Gehör fänden. Dennoch beteiligten sich an der Debatte so viele wie noch nie. Bei der Beantwortung der Frage auf unserer Homepage gab es eine klare Tendenz: 16 der 28 Statementgeber beantworteten die Frage mit „NEIN“. Sieben der Beteiligten sprachen sich für ein „JA“ aus, wobei sich dieses weniger auf der Aspekt der Harmlosigkeit bezog. So herrschte die Feststellung vor „Bauen ist niemals harmlos“. Die Befürworter der Frage bezogenen sich meist auf Identität und Tradition als Legitimation, historische (Bau-)Vorbilder wiederaufzureifen. Es sei notwendig, aus der Vergangenheit zu schöpfen, schließlich läge dort der Ursprung unserer heutigen Baukultur (Tobias Nöfer und Christoph Kohl). Ein sich in die Umgebung positiv einfügender Bau könne nur entstehen, wenn es sich am Stil und der Bauweise benachbarter Gebäude orientiere. Die Gegner dieser Überzeugung betonten, welchen existenziellen Beitrag die Architektur leiste damit sich eine Gesellschaft im hier und jetzt verortet. Architektur müsse ein Spiegel der gegenwärtigen Überzeugungen und Lebensweise sein. So erinnerten Lena Kleinheinz und Martin Ostermann (Magma Architecture) daran, dass historisierende Bauten eine Zeit verklärten, in der es keine digitale Technologie gab, kein Frauenwahlrecht und keine Demokratie. Diese Bauten würden unsere heutige Lebenswelt ad absurdum führen. Tom Kaden sieht in der Tendenz des historisierenden Bauens sogar eine Raumaneignung durch vermeintliche Eliten mit nationalpolitischen Symbolen oft getarnt hinter dem Begriff „Stadtreparatur“. Aber in der oft positiven Bewertung historisierender und rekonstruierter Bauten durch den Bürger stecke auch dessen Sehnsucht, die Verluste des Krieges wieder gutzumachen oder den Hang, an etwas Althergebrachtem aus Angst vor dem Misslingen festzuhalten. Auch den heutigen Investoren, deren oberste Prämisse es oft ist, so billig wie möglich zu bauen, wurde eine gewisse Mitschuld daran zugewiesen, dass viele neue Gebäude oft als kontextlos empfunden werden und tatsächlich qualitative und ästhetische Mängel aufweisen. Für mehr Qualität insgesamt plädierte auch Harald Bodenschatz: Wir bräuchten in erster Linie gute Architektur, ob sie modern oder historisierend sei, sei zweitrangig. Und Ursula Baus ergänzte: „Wenn doch alle, die sich so fürs Rekonstruieren und historisierende Bauen stark machen, ihre Energie für Schutz und Pflege des Vorhandenen aufwänden wollten!“ Wieviel Energie in diese Disksussion floss, zeigten nicht nur die intensiven Facebook-Threads während der letzten drei Wochen. Hier gibt es offenbar großen Klärungs- und Gesprächsbedarf gibt, der durch die aktuelle Diskussion um eine IBA zu Berlins „historischer“ Mitte gerade befeuert wird. 
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Marlene Drewitz / 5.6.2013 / 12:39

archEtrans e.V., Kuratorin

Nein ...

Naturschön und KunstschönKann die Thematik "Bauen" - Eingriff in den Raum - mit den Begriffen Naturschön und Kunstschön behandelt werden? Oder ist dieser Ansatz veraltet? Architekt H.R.Hiegel scheint auf der Suche nach einem Dritten Weg einen möglicherweise neuen auf der Spur zu sein: http://bit.ly/W3GVsD Das Wort "historisierend" impliziert Schwäche, Uneigenständigkeit, Verzagtheit. Mut zu selbstbewusstem Neuem ohne die Geschichte zu verleugnen, ist allerdings schwer zu haben. Ein kleines Manifest aus dem Jahr 1979 erscheint mir betrachtenswert: http://short.hiegel.de/d3m03KDiese Skizze von Architekt H.R.Hiegel für den Campanile, Frankfurt, könnte meines Erachtens ein visueller Ansatz zur Versöhnung der durch das Wort "harmlos" provozierten Inhärenz sein. Marlene Drewitz hat in Karlsruhe eine Ausbildung als Kosmetikerin gemacht und war bis 2003 berufstätig bevor sie aus gesundheitlichen Gründen Ihren Beruf aufgab. Ihre Passion als Laienschauspielerin, Organisatorin für ein kleines Theater, gute Seele für das Ensemble allerdings und einmischen in kulturelle, (bau)künstlerische, literarische Angelegenheiten, besonders für archEtrans e.V., pflegt sie heute mehr denn je.
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Margret Becker / 5.6.2013 / 12:23

Architektin, Berlin / HCU Hamburg

Nein ...

Gebäude aus einer anderen Zeit und Funktion nach heutigen energetischen Anforderungen und mit der heute üblichen Baukonstruktion – und häufig auch noch für eine ganz andere Nutzung – historisierend oder sogar „originalgetreu“ wiederaufzubauen, kann eigentlich kaum zu einem befriedigenden Ergebnis führen. Es bedeutet darüberhinaus, wie auch im Fall des Palastabrisses und der Rekonstruktion des Berliner Schlosses, die Zeit zurückdrehen zu wollen und ganze Jahrzehnte der (Stadt-)Geschichte auszublenden. Weshalb aber sollte es für uns und vor allem für nachfolgende Generationen richtig sein, sich mit Teilen der eigenen Geschichte nicht auseinandersetzen zu wollen?Deshalb ist es überhaupt nicht harmlos, historisierend zu bauen und damit Geschichtsklitterung zu betreiben.Intelligente und architektonisch interessante Projekte dagegen, die ein bedeutendes, zerstörtes Gebäude ersetzen, müssen nicht unbedingt dem Alten etwas ganz Neues entgegensetzen. Es können ja auch Interpretationen des Alten sein wie die bis heute beispielhafte Reparatur der Alten Pinakothek in München von Hans Döllgast, die in subtiler Weise an die Geschichte des Ortes, des Gebäudes und seiner Zerstörung erinnert. Aber auch aktuelle Projekte wie die Rekonstruktion des Ostflügels des Berliner Naturkundemuseums von Diener & Diener, die nicht durch eine neue Formensprache sondern allein durch neue Materialität die alte Fassade interpretieren, sind zeitgemäße, konzeptionelle Antworten.Die allgemeine Unzufriedenheit mit der modernen Architektur ist auch zum großen Teil in der heutigen Bauweise begründet. Anstatt sich deshalb mit historisierenden Fassaden zu beschäftigen, wäre es daher vielmehr angebracht, die heute üblichen Konstruktionsweisen in Frage zu stellen, die häufig aus Tragkonstruktion, Dämmschicht und dünner vorgehängter Fassade bestehen. Diese kann dann aus jedem Material sein, sowohl Leichtigkeit ausdrückend als auch Massivität imitierend – allerdings häufig sehr leicht zu entlarven durch die regelmäßigen, notwendigen Dehnungsfugen oder wie beim WDVS die Löcher in der Wand, aus denen schon kurz nach Fertigstellung das Dämmmaterial bröselt.
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walfried Pohl, Dr. / 1.6.2013 / 19:14

Architekturhistoriker, Vorstand Deutscher Werkbund NW

Jein ...

Jein, denn ob historisierend oder nicht, Architektur ist nie harmlos, weil von ihr die gefühlte Qualität unseres Lebensumfeldes abhängt. Lautet die Frage, ist historisierendes Bauen notwendig und ist damit Tradtionsbezug gemeint, lautet meine Antwort 'Ja', weil der Verzicht auf den Traditionsbezug der Makel der modernen Architektur ist,Nach dem letzten Krieg verweigerten sich einflußreiche Kreise der Architektenschaft, der Politik, der Publizistik dem Wiederaufbau der zerstörten Städte. Es hieß "Das zerstörte Erbe darf nicht historisch rekonstruiert werden, es kann nur für eine neue Aufgabe in neuer Form entstehen." Endlich war Platz, um die ideale Stadt der Moderne zu schaffen. Als 'zerstört' galt darum auch, was nur berschädigt war und wieder hergestellt werden konnte, auch es mußte der schönen neuen Welt weichen. Ein prominentes Opfer war das Berliner Stadtschloss. Es war beschädigt, aber noch soweit intakt, dass darin Büros untergebracht waren und Ausstellungen stattfanden.Damit aber nicht genug, es folgten und folgen die Wellen der Stadtzerstörung als so genannte Sanierung, Anpassung an den Straßenverkenr, Rücksicht auf Investoreninteresse. Viele Plätze, die in den 50er Jahren noch intakt waren, sind jetzt als solche nicht mehr zu erkennen. Letzte Meldungen über Stadtzerstörung kommen aus Duisburg, Stuttgart, Ulm, Zittau.Eigentlich sollte man meinen, die Menschen würden sich an das neue Stadtbild gewöhnen und die Verluste verschmerzen. Doch das stimmt nicht. Gerade, wenn es scheint, die Moderne hätte die Tradition überwunden, kommt der Wunsch hoch, verlorene Pracht wiederzugewinnen, der Wunsch nach Rekonstruktion des Verlorenen. Was wiederum die Architekten kränkt, die immer noch an die ideale Stadt der Moderne glauben.Ein markantes Beispiel: das Knochenhaueramtshaus in Hildesheim. Es war im Krieg ein Totalverlust, an seine Stelle trat 1962 das Hotel 'Rose', immerhin von den renommierten Architekten Dieter Oesterlein. Doch der Wunsch nach Rückgewinn des Verlorenen wurde mit den Jahren übermächtig, das Hotel wurde abgerissen und 1986 entstand das Knochenhauerantshaus neu, außen wie innen. Bei Schlössern geht das nur berdingt, das Innere läßt sich nur teilweise oder gar nicht zurückholen, so bleibt es oft bei den Fassaden. Bei Kirchen ist eher eine Gesamtrekonstruktion möglich, siehe die Frauenkirche in Dresden.Auch für das Stadtschloß Berlin gilt, es war über 60 Jahre verloren und doch der Ort, wo gleich zweimal am 9. November 1918 die deutsche Republik ausgerufen wurde, von Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht. auch hier wurde der eigentlich aberwitzige Wunsch übermächtig, das Verlorene wenigstens partiell wieerzugewinnen und den barbarischen Akt nachträglicher Zerstörung rückgängig zu machen.    
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Dietrich W. Schmidt / 30.5.2013 / 14:12

Dr.-Ing., DWB, do.co.mo.mo., Bauhistoriker i.R. (Uni Stuttgart)

Nein ...

Ein Architekt, der sich auf's Nacherzählen beschränkt, verzichtet auf Wesentliches seiner Aufgabe als Baukünstler, denn ein historisierender Umgang mit Form, Raum, Material, Farbe behindert vor allem die Fantasie. Aufgabe des Künstlers in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist aber nicht das museale Verwalten von früher Anerkanntem, er ist kein Kurator historischer Leistungen: Dafür gibt es Museen, Denkmalämter und Geschichtsbücher. Wer nicht mehr auszudrücken hat als sein Vertrauen auf scheinbar Bewährtes, verlässt sich, wie Adorno sagte, auf das "Wiedererkennen vertrauter Signale", er fügt dem Vorhandenen nichts Neues hinzu. Zur Erinnerung der Geschichtsliebhaber ein Zitat des alten Goethe: "Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muß stets produktiv sein, ein Neues, Besseres zu schaffen." Historisierendes Bauen ist Stagnation, wenn nicht Rückschritt. Mit jedem Bau verändert der Architekt ohnehin; warum sollte er so tun, als ob er nichts verändere? Er soll das Experiment wagen, etwas besser zu machen! Aus dem Wechselspiel von Benutzbarkeit und Ästhetik, Wirtschaftlichkeit und Anspruch, vorgefundenen Gegebenheiten und neuen Bedürfnissen wird die heutige Lebenswirklichkeit architektonisch formuliert. Brauchen wir also die Historie, wie 1874 Friedrich Nietzsche schrieb, "nicht zur bequemen Abkehr vom Leben und der Tat oder gar zur Beschönigung des selbstsüchtigen Lebens und der feigen und schlechten Tat!" Sonst sind wir nichts als "Müßiggänger im Garten des Wissens".Dr. Dietrich W. Schmidt, 
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Dr. Stephan A. Lütgert / 29.5.2013 / 18:08

Archäologe und Geograf, Berlin

Ja ...

Historisierendes Bauen folgt 1. dem Bedürfnis, die Verluste der Kriegs- und vor allem Nachkriegszeit an städtebaulicher Qualität und städtischer Identität zu kompensieren und ist 2. der Versuch, an diese durch Rückbesinnung auf zeitlos gültige architektonische Gestaltungsprinzipien wieder anzuknüpfen. Dabei gilt: Eine Kopie kann das Original niemals in seiner historischen Aussagekraft und Wertigkeit ersetzen, wohl aber den organischen Gesamteindruck wieder herstellen, der den Alten ein Anliegen war. Denn eine Stadt ist mehr als eine Ansammlung von Gebäuden und ein Platz mehr als eine unbebaute Fläche zwischen denselben. Es ist ein Fluch unserer selbstreferenziellen Zeit, dass sie das Vorbild scheut und dabei vielfach nur ästhetische Tristesse erzeugt. Dr. Stephan A. Lütgert M. A., Archäologe und promovierter (historischer) Geograph, 1999 bis 2007 Projektkoordinator für das Forschungs- und Erlebniscentrum „Schöninger Speere“ bei der Stadt Schöningen (Niedersachsen) sowie Mitbegründer und Geschäftsführer des Fördervereins „Schöninger Speere – Erbe der Menschheit“, 2008 Leiter des Hildesheimer Stadtmuseums, seit 2010 Geschäftsführer der Landschafft – Deutsche Stiftung Kulturlandschaft in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. zur historischen Kulturlandschaftsforschung.
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Peter Kummermehr / 29.5.2013 / 9:31

Architekt, Kirchheimbolanden

Ja ...

Ja. Es geht darum die Stadt zu bauen und es geht um Perspektiven die 100 Jahre übersteigen. Betrachten wir die Renovierbarkeit und die Anpassbarkeit von Architektur, dann sehen wir viel einstige Avantgarde mit sehr bescheidenen Qualitäten. Architektur, die im Zusammenhang gedacht und entwickelt wurde läuft weniger Gefahr obsolet zu werden. Zusammenhang bedeutet dabei mehr als Fassaden. Es bedeutet Städtebau mit allen Dimensionen, die dieses komplexe Gebilde bietet. Also: Lass tausend Blumen blühen und lerne die Stadt zu verstehen! Peter Kummermehr, geb. 1971, studierte an der Bauhaus Universität in Weimar. Er arbeitete 5 Jahre als Architekt und Stadtplaner in Rotterdam und gründete 2006 sein Büro skape.
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Franco Stella / 27.5.2013 / 11:39

Architekt, Vicenza und Berlin

Jein ...

“Harmlos” ist Architektur niemals, egal ob sie "historisierend" oder "originell-neu" ist: die zivilgesellschafltiche Bedeutung des Bauens ist eine unvermeidliche Sache, wenn auch eine Formsprache harmloser als eine andere für die Augen unserer Zeit aussehen kann. Mehr oder weniger bewusst ist auch der angebliche "anti-" bzw. "ahistoristische" Architekt kein harmloser. Der Begriff "historisierend" sollte zuerst geklärt werden: als ästhetische Präferenz stilistischer Konventionen einer "vormodernen" Epoche gemeint, scheint er für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses unzutreffend. Allgemein, denke ich, ist der Verzicht auf die "Lehre der Geschichte" der Architektur und insbesonders auch auf die des Ortes – wenngleich die Moderne des 20. Jahrhunderts und von Heute hin und wieder glaubt, daß sie der schöpferischen Kraft des Architekten hinderlich sei – kulturell unverantwortlich. Die "Lehre der Geschichte" ist meines Erachtens unentbehrlich, nicht um eine "antimoderne" oder "postmoderne", sondern um eine kulturell reiche, ortsbezogene und allgemeinverständliche Architektur zu bauen.Fast verpflichtet fühle ich mich zu sagen, dass die Rekonstruktion – sowohl die Theorie wie auch die Praxis der Rekonstruktion – mit dem Historismus der Architektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts kaum etwas zu tun hat: das Berliner Schloss wird in seiner urbanen Figur und mit der in der Barockzeit "erfundenen" Fassaden rekonstruiert, nicht weil seine "historische" Formsprache schöner als irgendeine "moderne" empfunden würde, sondern weil sie – besser als eine der tausend möglichen Alternativen oder Interpretationen – zivilgesellschaftliche Werte, Anhaltspunkte des kollektiven Gedächtnisses und der Identität der Stadt vermitteln kann. Eine solche Rückgewinnung ist kein verallgemeinbarer Widerspruch zur Moderne im Namen einer "historisierenden" Architektur: sie bedeutet eher die Ablehnung des "integralistischen" Anspruches der Moderne, sich überall durchsetzen zu müssen – auch an der Leerstelle eines von Naturkatastrophen oder von einem gewaltsamen Akt der Machtinhaber zerstörten Bauwerkes einzigartiger historischen und künstlerischen Bedeutung, wie es beim Berliner Schloss der Fall ist. Franco Stella, studierte Architektur an der IUAV Venedig. In den Siebziger und Achziger Jahren in Venedig und seit 1990 in Genua lehrte Architektonisches und Urbanes Entwerfen. Seit 1974 in Vicenza mit seinem Büro als freischaffender Architekt tätig, seit 2009 auch in Berlin als beauftragter Architekt des Wiederaufbaus /Weiterbaus des Berliner Schloss – Humboldtforum. 
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Ursula Baus / 25.5.2013 / 12:21

Architekturjournalistin, Stuttgart

Nein ...

Wie in dieser  bkult-Runde schon geschrieben wurde: Bauen ist nie harmlos. Aber die Rekonstruktions- und Historisierungsfragen nerven mehr und mehr. Diverse wissenschaftliche Arbeiten haben längst eine Binsenweisheit belegt: Die Mär vom „Mantra der Moderne“ gehört in den Begriffsmülleimer – Dank an Frank Werner, der hier bei bkult  nochmals von hübschen Beispielen berichtet, wie ermüdend und bisweilen geistlos schon vor vielen Jahrhunderten über Altes und Neues palavert wurde.Derzeit verdrießen vor allem diese kleingeistigen Hinweise auf „Umfragen“ mit scheinbar klaren Ergebnissen, was „die Bevölkerung“ denn mag. Jeder Statistik-Student weiß, wie welche Ergebnisse erfragt werden können. So sind manche in „der Bevölkerung“ alt, manche jung, manche „Generation Y“ oder Babyboomer oder Bobos oder Migranten ... und für die alle soll eine bestimmte Architektur als „Identitätskonstruktion“ herhalten? Heiliger Bimbam, bauen wir doch einfach gut und kontinuierlich weiter, modifizieren wir unsere längst gebaute Umwelt in einem verträglichen Maß und konzentrieren wir uns auf das, was gute, vorhandene und Identität stiftende neue oder alte Architektur Tag für Tag bedroht: fast 52 Mio Kraftfahrzeuge bei rund 82 Mio Einwohnern, außerdem eine Bauwirtschaftslobby, die ihren Umsatz im Bauhauptgewerbe 2012 mit rund 93 Mrd Euro bezifferte und immer nur wachsen, wachsen, wachsen will. Bedrohlich auch: Denkmalschützer, die faktisch entmachtet sind und vor jedem, der im Bürgermeisteramt mit einem Investitionseuro winkt, einen Bückling machen müssen.Jaja, so ließe sich noch lang polemisieren ... Wenn doch alle, die sich so fürs Rekonstruieren und historisierende Bauen stark machen, ihre Energie für Schutz und Pflege des Vorhandenen aufwänden wollten! Dr.-Ing. Ursula Baus studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Architektur in Saarbrücken, Stuttgart und Paris. Stipendien und Promotion. Nach langer Redaktionsarbeit gründete sie 2004 mit Christian Holl und Klaus Siegele die Partnerschaftsgesellschaft frei04 publizistik (www.frei04-publizistik.de), lehrte Architekturtheorie, verfasste Kritiken, Essays und Bücher und ist jetzt mit ihren frei04 publizistik-Kollegen u. a. für die redaktionellen Inhalte des Portals www.german-architects.com zuständig. Im wissenschaftlichen Kuratorium der IBA Basel 2020.
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Reinhard Münster / 24.5.2013 / 11:20

Diplom-Ingenieur Reinhard Münster, Freischaffender Architekt BDB

Jein ...

Seltsam, wie einfach die Dinge immer sein sollen. Vor vielen Jahren, es war 1991, skizzierten die Kollegen Goerd Peschken und Frank Augustin in Berlin einen wunderbaren dialektischen Entwurf zur zukünftigen Entwicklung der Berliner Stadtmitte. Seine Vorzüge, die räumliche Verschränkung mindestens (...) zweier Aspekte deutscher Geschichte, gingen 1993 angesichts eines ersten Transformationsversuches im schnell aufkochenden und seither anhaltenden Gebrüll eines vereinfachenden Pro und Contra Stadtschloss unter. Dabei bewahrte er in seiner so gern übersehenen Komplexität nicht weniger als die Vielschichtigkeit und Zusammenführung der Erinnerung an Hand greifbar am Ort und subversiv abseits gesicherter stofflicher Überlieferung. Er war zu Recht empörend. Denn er selbst war sichtbare Empörung gegen die behauptete Beliebigkeit des Ortes. Er war sichtbare Empörung gegen das angestrebte Vergessen des Genius Loci: Dass jeder und insbesondere solch ein centraler Ort immer auch Kulturgut ist im Spannungsfeld zwischen Durchsetzung und Einordnung, räumlich wie historisch, ästhetisch wie sozial. Dabei war er im besten Sinne unmoralisch, denn er behauptete nicht abschliessendes Besserwissen, er liess die weitere Deutung und die weitere Entwicklung über den Rahmen hinaus für die Zukunft offen. Eben das vordenken und anbieten zu können, das zumuten zu mögen und das nicht leichtverdaulich zu wissen, dazu gehören Kraft und Grösse, wie sie die beiden Entwurfsverfasser wohl eine gute Weile hatten. Ihr aufklärerischer Trick war der grosse Spiegel. Nicht jeder mag sich dem stellen. So haben sie tatsächlich nicht viele Unterstützer für ihr eigentliches Ansinnen gefunden. Manchmal fügt sich ja auch das: Uneigennützige Beförderung des Besseren zuungunsten der Vereinfachung. Die Vereinfachung jedoch lässt sich in der Tat leichter erklären und durchsetzen. Oder bekämpfen. Auch deshalb findet die Vereinfachung die entschiedeneren und tatkräftigeren Anhänger, auch im Gegner. Sie wird gesetzt zum Vorteil der eigene Bequemlichkeit, sofern diese nicht noch andere Vorteile kaschiert. Das Leben ist bunt, es gehört halt immer noch mehr dazu. Tatsächlich sind der antielitäre Reflex, der das Differenzierte bisweilen in den sonderbarsten Koalitionen an der Wade zu fassen versucht, und sei in dessen Herabsetzung als "Gag", ebenso wie das wissende Gegenhalten ihrerseits nur zwei Seiten einer Medaille. Oder sind sie gar der Rand? Im günstigsten Fall die Voraussetzung für einen Streit, ohne den sie nicht zum Laufen kommt? Der jedoch, ausser von Blinden, die wissen um ihn und seinen Text, nur zu gerne unterschlagen wird? Man möge also bedenken: Die Medaille hat nicht nur zwei Seiten und sie ist zudem auch noch rund. Wer nur weiss oder schwarz kennt oder setzt, nur schlecht oder gut, richtig oder falsch, kann und mag sich an dieser frei gewählten Bipolarität erfreuen, nur einziger Massstab ist sie deshalb trotzdem nicht. Die Frage "Ist es harmlos, historisierend zu bauen?" ist zu harmlos. Sie müsste lauten "Ist es harmlos, historisch eindimensional zu bauen?" Reinhard Münster, geboren 1958. Studium der Architektur an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Von 1998 bis 2010 freischaffender Architekt in Hamburg, seit 2010 in Rostock. Derzeitige Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind der Wohnungsbau und kostengünstiges Bauen.
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Prof. Frank Rolf Werner / 23.5.2013 / 15:17

AGT, Institut für Architekturgeschichte und Architekturtheorie, Universität Wuppertal

Nein ...

Nein, es ist ganz und gar nicht harmlos, historisierend zu bauen!Das hat Giovanni Pietro Bellori schon 1672 erkannt, als er nichts als beißenden Spott über seine kopierenden Architektenkollegen ausgoss: "Jeder denkt sich heute seine eigene Idea aus, bildet sich sein eigenes Hirngespinst von Architektur und stellt das dann auf der Piazza oder an Fassaden zur Schau. Das sind Männer, die sich großspurig Architekten nennen, obwohl sie von richtiger Architektur keine Ahnung haben. Sie verunstalten Häuser, ganze Städte und Denkmäler der Vergangenheit, indem sie diese wie verrückt (...) in falschen Proportionen mit allerlei Stuckfirlefanz und läppischem Stuck missgestalten."Sogar noch harscher fiel das Urteil aus, das Giovanni Gaetano Bottari im Jahre 1754 in seinen "Dialoghi sopra le tre arti del disegno" fällte: ?"Nachdem sie die Regeln des Vignola studiert haben und gelernt haben, dass die Bauweise der Griechen, des Bonarotti, des Ammannato, des Dosio, des Buontalenti, des Cigoli und anderer die richtige und vollkommene ist, versuchen sie, diese nachzuahmen. Da sie jedoch nicht erfinden können, kopieren sie diese (...) und sie kopieren sie schlecht: sie nehmen hier und da einige gute Sachen heraus und glauben, etwas Gutes zu tun, wenn sie diese dann irgendwie zusammenwürfeln; sie wissen jedoch nicht, dass schöne Dinge, wenn man sie schlecht zusammenfügt, etwas Hässliches ergeben." Diese Kritik lässt sich ohne Abstriche auf die heutige Situation übertragen. Architektur hat, von ihren jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten bis hin zu ganz praktischen Aspekten des Bauens und Konstruierens, stets etwas ganz Wesentliches mit dem Thema der "Vergegenwärtigung" zu tun. Wirklich zeitnaher, also nicht historisierender Städtebau und wirklich zeitgebundene Architektur sind unumgängliche Orientierungsmarken bei dem Bemühen, uns mit Leib und Seele im hier und jetzt zu "ver-orten"; ähnlich wie dies Baudenkmäler hinsichtlich unserer Herkunft tun. Der aktuelle Neo-Historismus befördert jedoch nichts als tote Wahrnehmung und ist damit de facto "ahistorischer" als die von ihm so vehement verteufelte erste, zweite oder dritte Moderne. Es sei denn, wir wollten allesamt jenen scheinheiligen Befriedungen anheim fallen, welche uns das "historisierende Boudoir" vorgaukelt. Architekturstudium an der Universität Stuttgart, 1972-82 Wiss. Assistent, 1988/89 Gastprofessur an der SCIARC, 1990-93 Lehrstuhl für Architektur- und Designgeschichte an der Kunstakademie Stuttgart, 1994-2012 Lehrstuhl und Leitung des AGT-Institut für Architekturgeschichte und Architekturtheorie an der Universität Wuppertal, zahlreiche Gastprofessuren, Publikationen und Ausstellungen.
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Florian Köhl / 23.5.2013 / 11:25

Architekt, Berlin

Nein ...

Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist das Abbild einer immer währenden Sehnsucht nach Sicherheit durch erprobte Modelle. Egal, welcher Preis, welche Gründe, das erprobte Modell erhält in der Gesellschaft mehr Rückhalt als das Neue. Und so zeigt sich die ganze Perversität einer Sehsuchtsmaschine Schloss, der Preis dieser scheinbaren Sicherheit, ein Bild aus einer anderen Zeit in die Komplexität und Ansprüche der jetzigen Zeit zu übertragen, wird mit all seinen unerträglichen Inkonsequenzen unterstützt und durchgesetzt.Auf der Ebene einer Bundesentscheidung erscheint dieser Wiederaufbau nicht überraschend, unklarer wird es, wenn die vermeintliche Sicherheit des Althergebrachten für die Legitimierung profaner Programme des alltäglichen Lebens genutzt wird und die tatsächlichen Komplexität von Lebensumständen durch eine repräsentativen Welt der Bilder überdeckt wird.Dieses Phänomen zeigt sich vor allem jetzt, nachdem der zunehmende Mangel an Wohn- und Arbeitsraum den Druck der Verwertung und Nutzung von bestehenden Flächen und Räumen erhöht. Dabei werden in der Auseinandersetzungen über die Priorität der zukünftigen Stadtentwicklung zwei wesentliche Standpunkte unklar diskutiert und vermischt: die Frage nach der formalen Ästhetik und Erscheinung der Stadt und die der inhaltlichen Mischung durch komplexe Programme. Die Haltung der formalen Ästhetik sieht erst das Bild, meist ein historisch bezogenes Bild (z.B. der Gründerjahre) und füllt dann, je nach Marktlage die entstehenden Hüllen auf. Damit hat dieser Diskurs die Stärke der Sicherheit des Bildes, das schon von vornherein feststeht. Der Diskurs der gemischten Stadt durch inhaltliche Komplexität ist ein prozesshaftes Verfahren der Form- und Ausdrucksfindung, dessen Bild folglich nicht feststeht. Gleichzeitig nutzt dieser Ansatz den Bezug zur Vergangenheit, zu bestehenden Strukturen, untersucht inhaltlich deren Ursachen und Potentiale und übersetzt die Erkenntnisse in die heutigen Anforderungen. Es interessiert nicht die Konsequenz des Erscheinungsbildes “historisch”, sondern einzelne Elemente und Zusammenhänge. Ergebnisoffen ist dieser Ansatz ein experimentelleres Modell und für einen Grossteil der Gesellschaft ein deutlich risikoreicheres, unkontrollierbares Verfahren.Obwohl die Anforderungen an die zukünftige Stadt prozesshafte und innovative Verfahren benötigen, scheint gerade diese Komplexität und Unsicherheit der kommenden Zukunft der Grund für den Rückzug zum Bedürfnis der oberflächlichen Fassadenstadt. Die momentane weltweite Krise und damit ausgelösten Diskussionen in Städten unterschiedlichster Erscheinungen zeigt, das neue Wohn- und Arbeitsformen, andere Finanzierungs- und Besitzmodelle für die Zukunft deutlich wichtiger sind als die Abwägung von Fassadenbildern. Deshalb benötigen wir ein starken politischen und inhaltlichen Willen der Stadtentwicklung und überzeugende Beispiel um das Modell der komplexen, gemischten Stadt wirklich umzusetzen. Nach mehreren Jahren der Forschung und Lehre gründet Florian Köhl 2002 das Büro FAT KOEHL ARCHITEKTEN mit einem Pilotprojekt, einer der ersten Baugemeinschaften Berlins. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Entwicklung alternativer Modelle fur das Wohnen und Arbeiten in der Stadt, vom Grundstuckserwerb bis hin zur Entwicklung spezieller Typologien unabhängig vom klassischen Investoren- und Wettbewerbsmarkt. Das Büro arbeitet seit deman unterschiedlichsten Weiterentwicklungen der Hausmodelle und an grundlegenden Stadtentwicklungsfragen fur Berlin und andere Städte. 2009 erhielt das Projekt in der Strelitzer Strasse 53 den Architekturpreis Berlin. Er ist Mitbegründer von NBBA, Netzwerk Berliner Baugruppenarchitekten, Team Eleven und Instant City.
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Marion Pfaus / 23.5.2013 / 8:49

Nein ...

Historisierend zu bauen fördert das Pathetische und ist politisch der falsche Impuls. Es ist humorlos und konservativ. Mein Vorschlag speziell zum Humboldtforum ist der Rückbau. Der Berliner Schlossplatz steht für eine sehr erfolgreiche Rückbaugeschichte! Alles, was je dort gebaut wurde, ist auch wieder rückgebaut worden. humboldt 21 fördert schon heute den Rückbau des Humboldtforums mittels Spendensammlung (312,97 €). Denn nach dem Wiederaufbau kommt der Wiederrückbau! Im Kurzfilm HUMBOLDT 21 (5:30 min) wird aus der Rückbauhistorie des Schlossplatzes der Rückbau des Humboldtforums hergeleitet. Eine radikale Zwischen- und Nachnutzung. In FAKTEN- UND FASSADENCHECK (Filmfortsetzung 7:30 min) wird der Rückbau am Modell schon mal umgesetzt. Und da laut Spendenuhr des Fördervereins Berliner Schloss e.V. ein Großteil der Spenden noch fehlt, ziert dieses Schlossmodell statt der durch Spenden finanzierten historischen Fassade eine Mischfassade aus historischen und modernen Elementen. Filmpremiere mit Exklusivinformationen zu humboldt 21 am Freitag, 24. Mai, 21 Uhr, Z-Bar, Bergstr. 2, Berlin-Mitte Marion Pfaus aka Rigoletti ist gebürtige Badenerin und lebt seit 2000 in Berlin. Entspezialisierte Medienartistik nennt sie das, was sie tut. Filme drehen, Texte schreiben, Internetseiten betreiben und live auftreten. "Rigoletti nimmt die Dinge, wie sie sind, und macht sie so, wie sie sein sollten." (Jakob Hein)
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Wilhelm von Boddien / 21.5.2013 / 10:57

Kaufmann und Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss e. V., Berlin

Ja ...

Diese Debatte ist von der Themenstellung her nicht zielführend, denn es geht wohl kaum darum, ob hier „Alte“ den „Jungen“ Chancen auf Selbstverwirklichung nehmen – dazu sind die heutigen jungen Menschen viel zu selbstbewusst – und wissen sehr gut, wie sie ihr Leben gestalten. Sie lassen sich weder von uns noch von den Architekten der Moderne indoktrinieren. Vielmehr sollten die orthodoxen Architekten der Moderne darüber nachdenken, ob sie nicht endlich auch einmal für den Menschen und seine Bedürfnisse bauen und ihren Nachwuchs ausbilden wollen – oder weiterhin nur zu Ihrer Selbstverwirklichung mit nicht immer bürgerfreundlichen Baudiktaten. Der Mensch mutiert in seinen Empfindungen,  besonders denen, die sich dem Schönen zuwenden,  nicht so schnell wie diejenigen es gern hätten, für die sich alles, was nicht Gerade, Kreis oder rechter Winkel ist, als lästiger Zierrat darstellt, den es niederzukämpfen gilt. Sie haben sich damit in ein selbst gewähltes Exil begeben. Die meisten jungen Leute werden über ihre  Fragestellung lachen – oder sich verständnislos abwenden. Nach einer repräsentativen Infratest-Dimap Meinungsumfrage waren vor zwei Jahren rund 80 % der jungen Berliner zwischen 18 und 24 Jahren für den Wiederaufbau des Schlosses. Wilhelm von Boddien, geboren 1942 in Stargard in Pommern, ist Kaufmann und Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss e.V., den er 1992 gründete. Seit der Wiedervereinigung setzt er sich für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses ein und trug maßgeblich zu der Entscheidung für die Rekonstruktion bei.  
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Florian Berner / 19.5.2013 / 20:25

Architekt Zürich

Ja ...

Ich frage mich was mit historisierend im Kontext der Debatte gemeint ist - der formale Ausdruck, eine Anlehnung an eine historische Formensprache, oder die Rekonstruktion historischer Gebäude. Ich möchte hier Adolf Loos zitieren der schon 1913 darauf hinwies, dass traditionelle Strukturen nur dann verbessert werden sollen, wenn Sie eine Verbesserung bedeuten. Gerade im innerstädtischen Raum sehe ich in der Anlehnungen an die bestehende Architektursprache grosse Qualitäten um der Stadt als Ganzes gerecht zu werden.Vielleicht sollten sich insgesamt weniger Architekten auf die Suche nach einem neuen Ausdruck machen, damit diese Gebäude dann, gerahmt von der homogenen Umgebung, bewusster wahrgenommen werden?
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Britta Jürgens / 19.5.2013 / 8:35

Architektin, Berlin

Nein ...

 Architektur muss als Kunst natürlich immer zeitgemäß sein. In Berlin sind wir aktuell mit einem aggressiven Aufleben der auf seltsamste Weise historisierenden Lochfassadenfraktion konfrontiert. Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen ‘Bürgerwille’ und Architekten, die diesen uninformierten Bürgerwillen ausnutzen und sich aus unlauteren Motiven zu deren Sprecher machen. Grundsätzlich gilt: Nein, historisierend zu bauen ist nicht harmlos sondern armselig im ursprünglichen Sinne des Wortes: arm an Seele. Es degradiert die Architektur von der Kunst zum gefälligen Dekorieren mit Altbekanntem. Es ist komplett kraftlos. Es ist ein Eingeständnis der Angst vor der Zukunft, der Einfallslosigkeit, der Faulheit und Unfähigkeit adäquate Lösungen für aktuelle Probleme zu finden. Es ist Ausdruck passiver Opferhaltung. Es ist die Verweigerung mutiger und aktiver Adaption an sich ständig verändernde Bedingungen. So könnte man wohlwollend und entschuldigend argumentieren und dies gilt für diejenigen, die sich des Unterschieds zwischen Architektur und historisierenden Gebäuden nicht bewusst sind. Die informierten Architektenkollegen, die sich der Verbreitung des historisierenden Heilsversprechens andienen, sind aber alles andere als Opfer. Sie sind geschickte Spieler im Gerangel um das große und schnelle Geld. Was jeder schon kennt muss nicht erläutert werden. Anhänger für die Mission müssen nicht überzeugt werden. Sie sind schon da und man muss ihnen nur liefern, was sie bestellen. Kostenposten für Entwicklungsarbeit entfallen. Nichts muss erfunden, nichts muss entworfen werden. Es bedarf keinerlei Trial & Error Prozesse, die Qual zeitgemäße Lösungen für aktuelle Probleme und dann auch noch den Ausdruck der Zeit zu finden, erspart man sich ökonomischerweise von vornherein. Einige Praktikanten schöpfen mit einigen Klicks aus dem reichen Fundus der Geschichte - ein ganz klein wenig Anpassungsarbeit an die aktuellen Bedingungen - fertig! Das eigentliche Problem ist nicht der uninformierte Bürgerwille sondern die charismatischen Architekten, die ihren Berufsstand verraten und sich aus schierer Geldgier zu deren Sprechern machen. Flugs verfassen sie einige intelligent wirkende Theorien, die das Ganze erstaunlicherweise auch dem gebildeteren Publikum, ja sogar den Experten überzeugend zu verkaufen vermögen. Zum Glück gibt es Kollegen die sich zunehmend den unseligen Wettbewerbsstrukturen entziehen. Sie überlassen das Feld weder Vertretern von Bürgern, die verklärt träumen noch Investmentfonds, die reine Profitinteressen verfolgen. Sie machen sich von den veralteten Berufsstrukturen unabhängig und fangen an, kooperative Strukturen aufzubauen, um gemeinsam ganzheitliche Lösungen für die tatsächlichen städtebaulichen Probleme unserer Zeit zu finden. Britta Jürgens, geb. 1962, hat mit Matthew Griffin 1992 das Architekturbüro Deadline gegründet. Sie interessieren sich für strukturelle Veränderungen - technologische, soziale und ökonomische - am Ende des industriellen Zeitalters und deren Auswirkungen auf Architektur und Stadtplanung. Sie schreiben den Blog http://www.locallygrowncity.net und sind Mitbegründer zahlreicher Initiativen unter anderen http://www.diy-iba.net und www.teameleven.org.
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Christoph Kohl / 18.5.2013 / 18:37

Architekt, Berlin

Ja ...

Was ist gegen das Kopieren zu sagen? Wie könnte es jemals einer Gesellschaft gelingen, eine ihrer Gegenwart entsprechende Ausdrucksform zu finden, ohne aus der Vergangenheit zu schöpfen? Eine autarke Ausdrucksform ohne Vergangenheitsbezug und folglich ohne Botschaft für die Nachkommenden? Denn diese dürften sich konsequenterweise auf jene auch nicht berufen. Wie hätten Architekturen und deren Abbilder sich in der Vergangenheit je „evolutionieren“ können, wenn sie nicht unablässig durch die einfältigen Alten - in Ermangelung visionärer Schaffenskraft, binnen einer Generationsspanne zum Kopieren verurteilt - in ihrer Qualität und Ausdrucksform vorangetrieben wurden? Wie hätte Baukultur denn überhaupt erst entstehen können, wenn man sich schämte, das Althergebrachte zu kopieren? Ist denn die Definition des „Alten“ wohlmöglich schon derart durch die um sich greifende Demenz geprägt, dass Alter mit Krankheit gleichgesetzt wird? Nun repräsentiere ich genau den als schuldig befundenen Babyboomer, gehöre also schon zu den Kranken mit einem kranken Weltbild und beraube die Jungen ihrer Entfaltungsfreiheit. Dabei dachte ich – zumindest meinen Kindern – ein Vorbild sein zu können, zum Nachahmen einladend. Das, was ich persönlich und professionell beitragen kann, speist sich jedenfalls aus der Überzeugung, dass sich bewährte Vor-Bilder besser zur Umsetzung eignen als unausgereifte Visionen. Dabei versuche ich undogmatisch zu bleiben. Bei meinem Wettbewerbsbeitrag zur Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt (leider nur eine Anerkennung) habe ich die Qualitäten des Fachwerkbaues - inklusive Lehmausfachung und Kastenfenstern - für das Null-Energie-Haus thematisiert. Ich habe inhaltlich wie äußerlich die zeitlose Modernität dieser allerdeutschesten Konstruktion herausgearbeitet. Heute verstaubt aber genau dieses Wissen in antiquierten Bildbänden obwohl es uns gerade in aktuellen Fragen weiterbringen könnte. Es taugt der Lehre weder als Hard-, geschweige denn als Software. Dies macht es dem Lehrenden ungemein leicht, sich dem Vergleich mit bewertbar Vergangenem zu entziehen. Frisch und frei visioniert er in die Gegenwart hinein. Als Vorgabe für eine nicht zurückblickende Zukunft brauchen sich seine Ideen ja auch nicht zu bewähren. Die meisten Architekten bemühen sich sogar, zeitgenössisch zu bauen! Und sie machen das natürlich ohne zu kopieren. Ja sogar ohne sich umzusehen - schon gar nicht nach hinten. Sondern immer voraus, auf den Flatscreen, was für die inflationäre Vermehrung weltweit immer gleicher Motive sorgt. Diese Bilderflut fürwahr ist nicht harmlos. Christoph Kohl, geboren 1961 in Bozen, Südtriol, studierte Architektur an der TU Innsbruck, TU Wien und diplomierte am IUAV Venedig. Ab 1989 arbeitet er bei Rob Krier in Wien und ab 1993 in einem gemeinsam Büro in Berlin. Seit 2010 ist er freischaffend als Christoph Kohl | KK architects urbanism·architecture·landscape mit Sitz in Berlin tätig. Wettbewerbsbeitrag zur Frankfurter Altstadt 
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Arno Lederer / 16.5.2013 / 10:13

Architekt, Stuttgart

Nein ...

Die Baukultur ist ein Abbild der Lebensvorstellung einer Generation. In der Architektur drücken ihre Erbauer aus, wie die Welt beschaffen sein soll. Deshalb ist es ein natürlicher Vorgang, dass die nächste Generation sich von der vorausgegangenen zu distanzieren sucht. Kurzum, im Wechsel der Moden und gestalterischen Vorlieben erkennen wir auch den „normalen“ und durchaus gesunden Generationenkonflikt. Bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts galt der Jugendstil als eine ästhetische Entgleisung und man fand die schwülstigen Formen geradezu als hässlich. Die Postmoderne distanzierte sich von den Bauten der heroischen Epoche der Moderne – und die heutige Generation der jungen Architekten und Studenten findet die Bauten der Postmoderne unerträglich. Parallel beobachten wir heute die Rehabilitierung der Nachkriegsmoderne, wir erkennen nicht nur ihren ästhetischen Wert, sondern auch die Suche nach einfachen Modellen, die, trotz ihrer formalen Zurückhaltung, mit einer gewissen Noblesse ausgestattet war. Betrachtet man diese Entwicklung, ist es nicht harmlos historisierend zu Bauen, da es die natürliche Kontinuität stört. Sich am historischen Kontext orientieren und ihn in den Entwurf mit einzubeziehen ist sinnvoll und notwendig. Einfach ein historisches Gebäude wieder aufzubauen dagegen ist Kitsch. Arno Lederer, 1947 geboren in Stuttgat, studierte Architektur an der Universität Stuttgart und der Technischen Universität Berlin. Er arbeitete im Büro Ernst Gisel und Berger Hauser Oed und gründete 1979 schließlich sein Büro Lederer. 2002-2006 war er im Wissenschaftlichen Beirat im Bundesamt für Bauwesen und Raumordung. Seit 2005 ist er Professor für Öffentliche Bauten und Entwerfen an der Universität Stuttgart. Er ist außerdem im Gestaltungsbeirat für das Dom-Römer-Areal in Frankfurt am Main tätig. Kaiserkarree, Karlsruhe
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Stefan Tebroke / 15.5.2013 / 11:17

Architekt, Berlin

Nein ...

Viele Architekten unterschätzen in ihrer Selbstbezogenheit, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung aufgrund eigener Erfahrungen tief sitzende Vorbehalte gegenüber einer oft seelenlosen Moderne gibt. Verstärkt wird dies in Deutschland noch durch die Zerstörungen des Krieges. So erklärt sich auch der Wiederaufbau von Schlössern vielerorts. Diese Bauten sollen wie Prothesen verloren gegangene Stücke des Stadtkörpers wieder herstellen. Den zeitgenössischen Architekten wird schlichtweg nicht zugetraut, ähnlich differenzierte Baukörper mit stadträumlicher Wirkung an diesen zentralen Orten errichten zu können. So entscheidet man sich im Zweifel lieber für eine Wiederherstellung von etwas nicht mehr vorhandenen als Replik anstatt einen neuen Weg mit dem Risiko des Misslingens zu beschreiten. Zum Glück sehe ich jedoch eine ganze Generation von jetzt tätigen Architekten, die sich bemühen bauplastische Gebäude mit eigener Seele zu entwerfen. Es gibt einen dritten Weg zwischen Moderne und Wiederherstellung! Stefan Tebroke, geboren 1968 in Bocholt, studierte Architektur an der RWTH Aachen und schloss sein Studium mit Auszeichnung ab. Anschließend arbeitete er u. a. für Prof. Gottfried Böhm, Antonio Citterio und Grüntuch Ernst. Seit 1996 ist er im Büro Busmann+Haberer in Berlin tätig und wurde 2010 geschäftsführender Gesellschafter bei BHBVT. Projektbeispiele BHBVT:  
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Stefan Krauel / 14.5.2013 / 23:25

Lichtplaner, Dipl.-Ing. Architektur, Berlin

Jein ...

Die Fragestellung halte ich für sehr unglücklich, weil sie offensichtlich nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen kann.Ja, denn offensichtlich wissen die historisierend Bauenden nicht wirklich, was sie anrichten.Nein, denn die historisierend Bauenden folgen einer unerträglichen Doktrin Verlorenes wiederaufbauen zu müssen in einem schier unerträglichen historischen Kontext, der die Kluft zwischen jung und alt, früher und später, neu und alt, modern und unmodern, Verständnis und Unverständnis, — sogar Krieg und Frieden — ins Unermessliche aufweitet.Was ist harmlos?Quelle: duden.deWorttrennung:harm|los Bedeutungenkeine [unsichtbaren, versteckten] Gefahren in sich bergend; ungefährlichohne verborgene Falschheit; ohne böse Hintergedanken; argloskeinen größeren Anspruch aufweisendSynonyme zu harmlosgefahrlos, nicht mit Gefahr verbunden, nicht schädlich/schlimm, ungefährlich, unschädlicharglos, blauäugig, einfältig, naiv, nichts [Böses] ahnend, ohne böse Hintergedanken, treuherzig, unbedarft, unschuldig; (gehoben) ohne Argwohnanspruchslos, einfach, leicht, nicht schwierig, ohne größeren Anspruch, unkompliziert; (oft abwertend) simpelStefan Krauel, Dipl.-Ing. Architektur, Lichtplaner, Diplom 1997 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und vorhergehendes Studium an der TU Braunschweig, seit 2008 angestellt als Lichtplaner.
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Hinrich Schoppe / 14.5.2013 / 18:37

Dipl.-Ing. Architekt

Nein ...

Historisierendes Bauen bildet die heutige Unsicherheit der Architektur bzw. das mangelnde Vertrauen der Nutzer (Bauherren, Investoren...) ab. Wer will sagen, was zuerst war und das andere als Reaktion erzeugt hat?Gestaltung ist nicht zuletzt erlernbar und eine ästhetische Erziehung - richtungsfrei, wohin auch immer - findet im wesentlichen nicht statt. Da ist es nicht verwunderlich, dass der Schuster bei seinem Leisten bleibt und Veränderungen zunächst immer ablehnen wird.Dagegen wäre vielleicht noch nicht einmal etwas einzuwenden, wenn denn das historisierende Gestalten - nicht das historisierende Bauen, das findet nämlich in Zeiten von EnEV und Billig-WDVS-Fassaden nicht statt - zur Verbrämung und Verschleierung von Profitinteressen ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl eingesetzt wird.Geradezu pervers erscheint es dann, wenn wirklich historische Substanz diesen Surrogaten weichen muss, da zu klein, zu kompliziert, zu wenig flexibel und insgesamt zu wenig gewinnversprechend...Historisierend zu Planen und zu Bauen würde im besten Sinne bedeuten, sich auf die historische Aufgabe des Bauens zu konzentrieren, die da lautet, den Menschen menschenwürdige Lebens-, Arbeit- und Wohnbedingungen zu gewährleisten. Historisierend beinhaltet weiterhin das Bauen für Generationen und im gleichen Atemzuge die Abkehr der grassierenden Wegwerfgesellschaft, die Hand in Hand mit kurzfristigen Gewinnen und Gewährleistungsfristen geht.Dies kann man z.B. in Altstädten ablesen, in denen die Gebäude vielgestaltig heterogen, oftmals originell um- und verbaut über die Jahrhunderte, großzügig und beengt gleichermaßen, formal unsinnig und verrückt erscheinen, aber gerade dadurch Lebensfreude und einfach nur Spaß am Sein in und zwischen ihnen generieren.      
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Mirco Brahmann / 14.5.2013 / 18:22

SchlossFreiheit

Nein ...

Natürlich nicht!Wir sprechen ja auch von Baudenkmälern. Es wäre gut diese zur Erinnerung zu rekonstruieren oder zu erhalten und zu pflegen. Das geht natürlich nur wenn noch genügen Substanz vorhanden ist. Dieses ist beim Stadtschloss nicht der Fall! Also, wieso will man es dann so dilettantisch und unbedingt wieder für sehr viel Geld aufbauen? Geht es hier nur um den Berliner Klüngel, welcher immer wieder Aufträge für die Logen-Freunde generiert?Oder geht es hier um mehr? Ich glaube ja, es geht um sehr viel mehr. Man möchte diesen Kaiser Kult unterstützen, welcher auch der ursprüngliche Nährboden für diesen unsäglichen deutschen Nationalismus ist. Hier soll ein Symbol erhalten bleiben, an exponierter Stelle. Eines welches gar nicht mehr existiert und Selbst beim letzten Kaiser sehr unbeliebt war. Dass hier die ersten Berliner von Anfang an, Widerstand geleistet haben, scheint dabei ebenso eine wichtige Rolle zu spielen. Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn man diesen Widerstand erst genommen hätte?Und heute? Wieso besteht man auf diese gigantische Geldverschwendung, die sich nicht mal refinanziert? Die Initiative SchlossFreiheit entstand im Herbst 2012, um der berechtigten und fundierten Kritik an der Rekonstruktion des Berliner Schlosses eine neue Plattform zu geben und dadurch das Anliegen früherer Bürgerinitiativen und die Arbeit kritischer Experten fortzuführen. Nach Gründung durch Arthur Kaiser, Ernst Wolf Abée und Mirco Brahmann bezieht die Initiative eindeutig Position, regt durch Publikationen die öffentliche Wahrnehmung an und führt gemeinsam mit Sympathisanten aus anderen Initiativen und Bewegungen Aktionen durch, so zum Beispiel die politische Performance „Humboldt Shake“. Nach Auffassung der Initiative SchlossFreiheit zeige sich beim Berliner Schloss-Projekt beispielhaft die Arroganz und Realitätsferne der politisch Verantwortlichen, die bedenkenlos dreistellige Millionenbeträge für überflüssige Prestigebauten freisetzen und zu einer fälligen Kurskorrektur nicht mehr in der Lage zu  
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Marina Kara / 14.5.2013 / 14:52

www.plattformnachwuchsarchitekten.de

Nein ...

Nein, es ist nicht harmlos!! Es ist Geschichtsklitterung, irreführend für die Nachwelt und geschmäcklerisch. Jede Zeitschicht des Bauens sollte nachvollziehbar und erlebbar sein. Dies ist beim Neubauschloss in Berlin beispielsweise nicht der Fall. Es handelt sich um einen Neubau überwiegend aus Beton, an den an 3 Seiten willkürlich barock-anmutende Steinmetz-Fassaden angeklebt werden sollen. Das Original-Eosander-Portal ist aber längst in einem anderen Bau nebenan zu DDR-Zeiten verbaut worden - im ehemaligen Staatsratsgebäude, heute Hertie-School of Governance. Die DDR-Geschichte wird hier für Laien kaum nachvollziehbar, auf seltsame Weise verschleiert. Eine politisch-ideologich motivierte Willkür, die mir Sorge bereitet. Auch anderenorts. Qualitätvoller Denkmalschutz und Denkmalpflege sieht jedenfalls anders aus. Und Zeitgenössischer Neubau ebenfalls. Aber darüber ist ja schon genug geschrieben worden...
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Tobias Nöfer / 14.5.2013 / 14:17

Architekt, Berlin

Ja ...

Aber es ist nicht harmlos, historisierend zu bauen, sondern notwendig.    •    „Historisieren“ interpretiere ich als im Entwurf sichtbares Reflektieren der Geschichte von Orten, Menschen oder Institutionen. Gute Architektur zeichnet sich auch durch diesen „Mehrwert“ an Bedeutung aus.    •    Historisierend“ ist nicht der Gegenbegriff zu „Zeitgemäß“. Manchmal ist es „zeitgemäß“ zu „historisieren“.    •    Architektur sollte nicht despektierlich als „historisierend“ bezeichnet werden, wenn sie architektonisch ist, wenn sie sich also der entwurflichen Methoden der Architektur der letzten 4000 Jahre bedient. Es ist einfach und war in den letzten Jahren en vogue, Dinge zu designen, die sich in einen krassen Gegensatz zur Umgebung und zum Selbstverständlichen stellen. Die Fachwelt hat sich daran gewöhnt, der kurzfristigen Aufmerksamkeit fahrlässig mehr Bedeutung beizumessen, als dem langfristigen Erfolg von Architektur. Mir scheint, die erwähnte „gefühlte Mehrheit der Bürger“ ist sensibilisiert, weil die Methode des „shocking“ in der Architektur mittlerweile abgegriffen und als städtebaulich schädlich entlarvt ist.    •    Städtebau und Architektur sind zwei verwandte Disziplinen, die aber nicht genug auseinander gehalten werden. Wenn man über die Rekonstruktion des Berliner Altstadtkerns spricht, ist das zunächst eine politische und städtebauliche Debatte, um Architektur geht es dabei nicht.    •    Rekonstruktionen sind nicht, was „historisierende“ Architektur meint. Sie sind die Reaktion auf unbeabsichtigte oder ungerechtfertigte Zerstörung. Rekonstruktionen haben in allen Generationen stattgefunden - sie entstehen dort wo das Bedürfnis nach der bedeutenden Form übermächtig wird. Die offensichtliche Angst vieler Architekten davor, diesem Bedürfnis zu entsprechen, ist mir unverständlich.    •    Die Gefahr heraufzubeschwören, dass eine kommende Generation sich nicht mehr entfalten kann, weil die heute aktive Generation plant und baut ist abwegig. Es war schon immer so, dass die „Jüngeren“ sich mit den Konsequenzen der Entscheidungen der „Älteren“ auseinandersetzen müssen. Das gehört zum Selbstfindungsprozess der Jüngeren, den zu unterbinden einen Verlust für diese darstellt.    •    Ansichten über Architektur sind keine Frage des Alters, das zu meinen ist wahrscheinlich pubertär. So sehe ich auch den erwähnten Artikel von Frau Blasberg.    •    Es gibt gute und schlechte Architektur. Gut ist sie, wenn sie nützlich, dauerhaft und schön ist. Tobias Nöfer, geboren 1967 in Ahaus, Westfalen, studierte Architektur an der RWTH Aachen und ETH Zürich. In den 90er arbeitet er bei Prof.  Oswald Matthais Ungers, Prof. Kollhoff & Timmermann und Bernd Albers. Seit 1998 ist er mit seinem Büro als freischaffender Architekt in Berlin tätig. Er ist Vorstandsmitglied des Architekten- und Ingenieursverein Berlin (AIV).
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Lena Kleinheinz & Martin Ostermann / 14.5.2013 / 13:02

Architekten, Berlin

Nein ...

Die Popularität von Retrodesign und Vergangenheitssimulation, die sich gegenwärtig im Schlosswiederaufbau und anderen Projekten bemerkbar macht, ist alles andere als harmlos, denn sie bremst den Fortschritt, den wir brauchen, um die Probleme unserer Zeit zu lösen. Ein großer Teil der Neubauten Berlins steht im krassen Gegensatz zum Anspruch der Stadt, Europas kreativ-innovative Ideenschmiede zu sein. Während vor etwa 20 Jahren, geschickt lanciert durch ein Netzwerk von geschäftstüchtigen und machtbesessenen Akteuren, das Bild der Stadt der vorvergangenen Jahrhundertwende als Blaupause für die urbane Zukunft verankert wurde, sind wir mittlerweile zumindest im Maklerjargon beim „Living Bauhaus“ angelangt. Ob wir bei diesem Schneckentempo jemals im Jetzt ankommen ist ungewiss. Die Verneigung vor der Vergangenheit in der Architektur hat offenbar so große öffentliche Resonanz gefunden, dass Politik und Medien sie heute unwidersprochen als Konsens betrachten. Ganz im Gegensatz dazu glauben wir - wie viele unserer Kollegen –– an das Zukunftsweisende der Architektur, an ihre Fähigkeit zu inspirieren und Innovationen anzuregen. Historisierende Bauten verklären eine Zeit, in der es keine digitale Technologie gab, kein Frauenwahlrecht und keine Demokratie. Als Produkte unserer Zeit zeugen sie von einem tiefen Misstrauen gegen das Neue, gegen Veränderung und Entwicklung. Sie sind Teil der Bemühungen, die Spuren der jüngeren Geschichte einer geteilten Stadt unkenntlich zu machen oder zu entfernen. Sie berauben uns mit dieser Geschichtsklitterung im Stadtbild nicht nur unserer Vergangenheit, sondern auch unserer Zukunft. Sie verbraten die Budgets und besetzen den Raum, den wir für ihre Gestaltung dringend brauchen.  Sie binden Milliardenbudgets in Gebäuden, die unsere gegenwärtige Lebenswelt ad absurdum führen. Beharrlich der Tatsache trotzend, dass (soweit wir wissen) niemand die Wiedereinführung der Monarchie plant, wird ein Königsschloss gebaut in vollem Angesicht seiner Untauglichkeit als Museum, das es aus Ermangelung zwingenderer Nutzungsideen einmal werden soll. Es konstituiert ein Milliardengrab für ein Armutszeugnis der Einfallslosigkeit, das das Zentrum unserer Stadt besetzen wird solange wir leben: ein Denkmal der verpassten Chancen. Die öffentliche Wahrnehmung von Architektur als bildhafte Simulation der Vergangenheit verklärt den Blick auf ihre tatsächlichen Aufgaben: Veränderte Lebensweisen und ökologische Herausforderungen bedingen eine Abkehr vom Gewohnten und ein radikales Neudenken von Architektur. Wir brauchen dafür eine offene, konstruktive und gemeinschaftliche Diskussion, die sich nicht an vermeintliche Sicherheiten des Bisherigen klammert (sie gelten nicht mehr!), sondern das Neue zu denken und zu bauen wagt. Inzwischen dürfte sich herumgesprochen haben, dass das rückwärtsgewandte und oberflächliche Verständnis von Architektur sich durch Abwarten nicht in Wohlgefallen auflösen wird. Dass die Mehrheit unserer Profession so beharrlich dazu schweigt, hat vielfältige Gründe. Das unter deutschen Architekten weit verbreitete Einzelkämpfertum und der Mangel an sichtbaren „Köpfen“ erschwert eine eindeutige und schlagkräftige Positionierung. Architekten sind in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern besonders machtlos (ökonomisch, politisch, organisationell, in ihrem gesellschaftlichen Ansehen etc.) – ein Machtvakuum, dass andere gut für sich zu nutzen wissen. Das „Geraderücken“ der öffentlichen Wahrnehmung kann nur durch die Architekten – und es müssten junge und alte gemeinsam sein - initiiert werden. Ob sich etwas bewegt, wird mit darüber entscheiden, ob Leute wie wir unsere Zukunft nicht nur im Ausland, sondern auch vor der eigenen Haustür mit gestalten werden. Lena Kleinheinz erweiterte ihr Kunststudium in Düsseldorf und Münster um eine Stippvisite am FB Architektur der UdK Berlin und einen Masterabschluss der Theorie und Geschichte der Architektur an der Bartlett in London. Nach dem Studium leitete sie von 2000 bis 2005 die Konzeption und Gestaltung internationaler Ausstellungsprojekte. Lena Kleinheinz war Lehrbeauftragte der TU München und Gastprofessorin der Hochschule Ostwestfalen-Lippe.Martin Ostermann studierte Architektur an der RWTH Aachen und der Bartlett in London gefolgt von einen Masterabschluss an der Architectural Association, London. Von 1997 bis 2003 war er leitender Entwurfsarchitekt im Berliner Büro Studio Daniel Libeskind.Zusammen gründeten sie 2003 magma architecture (auf Facebook, Twitter), das für visionäre Landmarken, spektakuläre mobile Konstruktionen und ausdrucksstarke Innenräume steht. Für ihre Projekte wie z. B. die Olympischen und Paralympischen Arenen für Sportschießen in London erhielten sie mehrere internationale Architekturpreise. Olympic Shooting Arenas, London
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Harald Bodenschatz / 14.5.2013 / 12:24

Stadtplaner und Sozialwissenschaftler, Mittelfranken/ Berlin

Jein ...

Bauen ist niemals harmlos: Es drückt Macht und Geld aus, verdrängt etwas, stellt sich mehr oder weniger unübersehbar in den Raum, erniedrigt oder respektiert die Nachbarn, ignoriert oder verarbeitet die Geschichte, beleidigt oder erfreut das Auge. Und zwar unabhängig davon, ob es „historisierend“ oder „modernisierend“ ist. Interessant ist, wie von wem welche Fronten konstruiert werden. Was heißt hier „historisierend“? Wie wäre es mit regionaler Bautradition? Was ja nicht kopieren heißt, sondern neu interpretieren? Aber wo ist die Grenze zwischen Kopie und Neuinterpretation? Oder besser: Wer hat das Recht, diese Grenze festzulegen? Und warum sollte es harmloser sein, regionale Traditionen zu missachten? Dass die Antworten auf solche Fragen altersabhängig sind, ist eine gewagte Behauptung. Oder besser gesagt: Eine solche Behauptung ist Teil einer unsachlichen Polemik. Genauso wie das Wort „historisierend“, oder das Wort „zeitgenössisch“. Stilfragen sind gesellschaftliche Fragen, um die gestritten werden muss, für deren Beantwortung der Architekt aber kein Monopol hat. Wenn er es beansprucht, schadet er seiner Profession. Aber sind Stilfragen überhaupt wichtig? Eine gute „historisierende“ Architektur ist besser als eine schlechte „modernisierende“. Und umgekehrt. Weit wichtiger ist der städtebauliche Kontext, die Art und Weise, wie ein Gebäude sich einfügt, oder eben auch nicht, wie laut es schreit: Ich bin besser als die Nachbarn, größer, dicker, modischer. Sollten wir uns nicht für eine andere Losung stark machen: Es ist alles andere als harmlos, den städtebaulichen Kontext zu ignorieren! Und auch dessen Geschichte! Damit sind wir wieder am Anfang. Respekt vor der Geschichte heißt keineswegs per se Rekonstruktion oder traditionelles Bauen, schließt es aber auch nicht a priori aus. Ideologische Verbote sind in unserer Profession fehl am Platze. Harald Bodenschatz, Stadtplaner und Sozialwissenschaftler, 1967-1972 Studium der Sozialwissenschaften, seit 1972 Lehre und Forschung an der RWTH Aachen und an der TU Berlin, 1995-2011 Professor für Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin, seit 2012 Mitglied des Bauhaus-Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur und Planung in Weimar. Seit 1980 planerische Praxis im Büro Gruppe DASS zusammen mit Johannes Geisenhof (Projekte zur Stadterneuerung vor allem in Mittelfranken)
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Schloss Freiheit / 14.5.2013 / 10:38

Bürgerinitiative, Berlin

Nein ...

Jede Generation muss ihr Haus neu erfinden. Auch wenn zeitgenössische Gebäude nicht immer als ästhetische Glanzleistung gelingen, vergessen die Kritiker gerne, dass unsere Erwartungen an Städte und Gebäude Veränderungen unterworfen sind wie technische Skills und gesellschaftliche Ziele. Dabei mag ein Rückgriff auf Bewährtes hilfreich sein, kann aber die eigene Anstrengung nicht ersetzen.   Jede Generation sei wie ein neues Gehirn, zitiert die Journalistin Anita Blasberg Gottfried Benn ( in der ZEIT, „Die schon wieder“ ) In kurzer Zeit wurde aus großen Betonplatten der Rohbau des Potsdamer Schlossnachbaus gefügt, später sollen Verzierungen der Lochfassade historische Handwerkskunst vortäuschen. Aufwendige Nachbauten wie das Potsdamer oder das Berliner Schloss verhindern, dass eine neue Generation ihren Mut und ihre Kraft an prominenter Stelle in den Grundriss der Stadt einschreibt. Wenn die Ablehnung von Veränderungen alle Entscheidungen bestimmt, tritt Stillstand ein: nach dem Prinzip Herodes bevormunden die Meinungsführer rigoros alle Gruppen, die neue Ansprüche stellen könnten. Eine überalterte Gesellschaft ohne Vision wünscht sich, dass die Wiederholung erlebtes oder auch nur erhofftes Glück noch einmal schenkt. Bisher gaben alle Gesellschaften stets mehr Geld für die Jüngeren aus..... Heute hat sich in den westlichen Wohlfahrtsstaaten das Verhältnis umgekehrt: Schon jetzt kosten die über 75-Jährigen mehr als sämtliche Kinder zusammen, konstatiert Anita Blasberg. Das Konzept der internationalen Moderne versprach Gleichberechtigung und Freiheit, die Zitate historischer Bauformen behaupten dagegen eine kulturelle, militärische oder wirtschaftliche Überlegenheit der Errichter. Müssen wir die Herabwürdigung der sozialen Solidarität in unserer Gesellschaft akzeptieren? Wenn vermögende oder regierende Kreise mit viel Aufwand historisierende Fassaden bauen lassen, ist dies ist nicht harmlos, sondern schamlos: peinlich wie ein ranziger Altherrenwitz. Wir lachen nicht mit. Die Initiative SchlossFreiheit entstand im Herbst 2012, um der berechtigten und fundierten Kritik an der Rekonstruktion des Berliner Schlosses eine neue Plattform zu geben und dadurch das Anliegen früherer Bürgerinitiativen und die Arbeit kritischer Experten fortzuführen. Nach Gründung durch Arthur Kaiser, Ernst Wolf Abée und Mirco Brahmann bezieht die Initiative eindeutig Position, regt durch Publikationen die öffentliche Wahrnehmung an und führt gemeinsam mit Sympathisanten aus anderen Initiativen und Bewegungen Aktionen durch, so zum Beispiel die politische Performance „Humboldt Shake“. Nach Auffassung der Initiative SchlossFreiheit zeige sich beim Berliner Schloss-Projekt beispielhaft die Arroganz und Realitätsferne der politisch Verantwortlichen, die bedenkenlos dreistellige Millionenbeträge für überflüssige Prestigebauten freisetzen und zu einer fälligen Kurskorrektur nicht mehr in der Lage zu sein scheinen.
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Tom Kaden / 14.5.2013 / 10:24

Architekt, Berlin

Nein ...

… es ist eine Katastrophe! Gern möchte wohl gerade die bürgerliche Mitte vergessen machen, weshalb deutsche Innenstädte spätestens im Mai 1945 solche Zerstörungen der über Jahrhunderte gewachsenen Bausubstanz zu beklagen hatten. Diese sind nämlich das Ergebnis des Kampfes der sowjetischen, amerikanischen, französischen und britischen Befreiungsarmeen gegen die saubere deutschen Wehrmacht – und nein Herr Stimmann, Herr Kohllhoff, Herr Jauch – dafür ist weder die Ost- noch die Westmoderne zur Rechenschaft zu ziehen. Verantwortlich war allein das willige deutschen Volk unter Führung der ökonomischen und standesdünkelhaften "Eliten", die mehr Raum im Osten und mehr Absatzmärkte in ganz Europa benötigten. Diese historische Determinante hat den bedeutenden deutschen Städten im Wesentlichen ihre Zentren geraubt. Und nun sucht das neubürgerliche Interesse der wiedervereinigten und aufgeklärten Bundesrepublik den nostalgischen Augentrost? Reden wir hier überhaupt über Stadtplanung und Architektur? Oder reden wir nicht viel eher über die aktuelle Praxis der Aneignung des Raumes in den Städten, erneut angeführt von den vermeintlichen Vertretern der politischen, mithin der wirtschaftlichen und geistigen Eliten? Diese Aggressoren gegen jedwede “Moderne” wollen viel mehr als nur die Schleifung des Ahornblattes und des Palastes der Republik. Handelt es sich nicht in Wirklichkeit um den Versuch einer Wiederbelebung von Symbolen nationalpolitischer und -kultureller Identität? Also her mit den Attrappen auf historischem Stadtgrundriss und endgültig weg mit den letzten Wunden der nationalen Katastrophe! Und wer bewohnt/benutzt/bewirtschaftet, profitiert also letztendlich von diesen Nachbildungen historischer Ansichten, irreführend auch "Stadtreparatur" genannt? Der "selbstregulierende Markt" – und dieses scheue Reh möchte doch bitte eine exklusive Bewohnerschaft, frei von irgendwelchen wirtschaftlich gescheiterten Randexistenzen. Denn das Recht auf Stadt hat nur der, der es sich leisten kann. Und in diesem Zusammenhang können wir auch noch die Irrungen und Wirrungen der 60er, 70er und 80er Jahre des letzten Jahrtausends glatt ziehen. Georg Dehio schreibt 1901: "Der Venus von Milo ihre Arme wiederzugeben oder Leonardos Abendmahl mit einer frischen Farbdecke zu überziehen, gilt für eine heute unmöglich gewordene Barbarei. Nur gewisse Architekten glauben dergleichen noch täglich verüben zu dürfen. Was berechtigt uns denn, so viel Zeit, Arbeit und Geld dem Schaffen der Gegenwart zu entziehen, um sie den Werken der Vergangenheit zuzuwenden? Doch hoffentlich nicht das Verlangen, sie einem bequemeren Genuß mundgerechter zu machen? Nein, das Recht dazu gibt uns allein die Ehrfurcht vor der Vergangenheit. Zu solcher Ehrfurcht gehört auch, daß wir uns in unsere Verluste schicken. Den Raub der Zeit durch Trugbilder zu ersetzen, ist das Gegenteil von historischer Pietät." Wenn der aktuelle gesellschaftliche Zustand eines vom Staat alimentierten Finanzkapitalismus anhält, werden wir bald saubere Innenstädte mit "ökologischen" Elektroautos und privatem Sicherheitsdienst haben, in denen die Fragen des Gemeinwohls, des zukunftsorientierten Bauens, der verdichteten Unterschiedlichkeit nicht mehr gestellt werden, da selbige im Sinne der neoliberalen Hegemonie abschließend beantwortet scheinen. "Die Stadt als Arena polit-ökonomischer Verhältnisse zu verstehen,(...) verknüpft Perspektiven der Veränderung notwendigerweise mit Fragen der Macht, des Eigentums und der Verwertung." (Gebhardt/Holm 2011) Tom Kaden, geboren 1961, studierte Architektur an der FH für angewandte Kunst in Schneeberg und der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. 1996 gründet er das Büro Kaden aus dem 2002 Kaden Klingbeil Architekten wurde . Das auf Bauen mit Holz spezialisierte Büro erhielt für seine Entwürfe zahlreiche Preise, darunter den BDA Preis 2009. Tom Kaden ist außerdem Mitbegründer des Team11 und der Wohnungsbaugenossenschaft BWL.
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Andreas Hild / 14.5.2013 / 10:21

Architekt, München

Ja ...

Historisierendes Bauen geht von einer Vorstellung aus, die glaubt, es gäbe einen geschichtlichen Abschnitt der so wertvoll war, dass es sich lohnen würde, ihn zu wiederholen. Unabhängig davon, ob man diesen Glauben teilt, stellt sich die Frage, ob es möglich ist, eine solche Wiederholung tatsächlich herzustellen. Denn erst wenn wir diese Möglichkeit in Betracht ziehen, könnten wir ernsthaft diskutieren ob dies zu Beschädigungen von wem auch immer führt.Alle Versuche zu rekonstruieren oder auch zu historisieren sind bei Licht betrachtet sofort oder zumindest kurz nach ihrer Fertigstellung als Produkt der jeweiligen Zeit erkennbar.Als Münchner, aufgewachsen in einer wiederaufgebauten Stadt, die übrigens nicht als historische Altstadt sondern als Wiederaufbauarchitektur unter Denkmalschutz steht, kann ich überhaupt keine Gefahr für irgendjemanden sehen. Und das ist völlig unabhängig davon, wie ich selbst zu historisierendem Bauen stehe.Das einzige was ich mir vorstellen könnte wäre, dass in der Generationenfolge der Menschen eine besonders historisierende Architekturepoche fast zwangsläufig eine dem historisierenden Bauen besonders ablehnend gegenüberstehende Generation hervorbringt ...Darüber sollte man vielleicht einmal nachdenken, als Befürworter ebenso wie als Gegner. Andreas Hild, geb. 1961, studierte Architektur an der ETH Zürich und an der TU München. 1992 gründete er mit Tillmann Kaltwasser ein eigenes Büro. Seit 1999 wird das Büro Hild und K von ihm und Dionys Ottl geleitet. Hild hatte Gastprofessuren und Lehraufträge an im In- und Ausland.
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Florian Köhl / 23.5.2013 / 11:25

Architekt, Berlin

Nein ...

Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist das Abbild einer immer währenden Sehnsucht nach Sicherheit durch erprobte Modelle. Egal, welcher Preis, welche Gründe, das erprobte Modell erhält in der Gesellschaft mehr Rückhalt als das Neue. Und so zeigt sich die ganze Perversität einer Sehsuchtsmaschine Schloss, der Preis dieser scheinbaren Sicherheit, ein Bild aus einer anderen Zeit in die Komplexität und Ansprüche der jetzigen Zeit zu übertragen, wird mit all seinen unerträglichen Inkonsequenzen unterstützt und durchgesetzt.
Auf der Ebene einer Bundesentscheidung erscheint dieser Wiederaufbau nicht überraschend, unklarer wird es, wenn die vermeintliche Sicherheit des Althergebrachten für die Legitimierung profaner Programme des alltäglichen Lebens genutzt wird und die tatsächlichen Komplexität von Lebensumständen durch eine repräsentativen Welt der Bilder überdeckt wird.
Dieses Phänomen zeigt sich vor allem jetzt, nachdem der zunehmende Mangel an Wohn- und Arbeitsraum den Druck der Verwertung und Nutzung von bestehenden Flächen und Räumen erhöht. Dabei werden in der Auseinandersetzungen über die Priorität der zukünftigen Stadtentwicklung zwei wesentliche Standpunkte unklar diskutiert und vermischt: die Frage nach der formalen Ästhetik und Erscheinung der Stadt und die der inhaltlichen Mischung durch komplexe Programme. Die Haltung der formalen Ästhetik sieht erst das Bild, meist ein historisch bezogenes Bild (z.B. der Gründerjahre) und füllt dann, je nach Marktlage die entstehenden Hüllen auf. Damit hat dieser Diskurs die Stärke der Sicherheit des Bildes, das schon von vornherein feststeht. Der Diskurs der gemischten Stadt durch inhaltliche Komplexität ist ein prozesshaftes Verfahren der Form- und Ausdrucksfindung, dessen Bild folglich nicht feststeht. Gleichzeitig nutzt dieser Ansatz den Bezug zur Vergangenheit, zu bestehenden Strukturen, untersucht inhaltlich deren Ursachen und Potentiale und übersetzt die Erkenntnisse in die heutigen Anforderungen. Es interessiert nicht die Konsequenz des Erscheinungsbildes “historisch”, sondern einzelne Elemente und Zusammenhänge. Ergebnisoffen ist dieser Ansatz ein experimentelleres Modell und für einen Grossteil der Gesellschaft ein deutlich risikoreicheres, unkontrollierbares Verfahren.
Obwohl die Anforderungen an die zukünftige Stadt prozesshafte und innovative Verfahren benötigen, scheint gerade diese Komplexität und Unsicherheit der kommenden Zukunft der Grund für den Rückzug zum Bedürfnis der oberflächlichen Fassadenstadt. Die momentane weltweite Krise und damit ausgelösten Diskussionen in Städten unterschiedlichster Erscheinungen zeigt, das neue Wohn- und Arbeitsformen, andere Finanzierungs- und Besitzmodelle für die Zukunft deutlich wichtiger sind als die Abwägung von Fassadenbildern. Deshalb benötigen wir ein starken politischen und inhaltlichen Willen der Stadtentwicklung und überzeugende Beispiel um das Modell der komplexen, gemischten Stadt wirklich umzusetzen.

 

Nach mehreren Jahren der Forschung und Lehre gründet Florian Köhl 2002 das Büro FAT KOEHL ARCHITEKTEN mit einem Pilotprojekt, einer der ersten Baugemeinschaften Berlins. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Entwicklung alternativer Modelle fur das Wohnen und Arbeiten in der Stadt, vom Grundstuckserwerb bis hin zur Entwicklung spezieller Typologien unabhängig vom klassischen Investoren- und Wettbewerbsmarkt. Das Büro arbeitet seit dem
an unterschiedlichsten Weiterentwicklungen der Hausmodelle und an grundlegenden Stadtentwicklungsfragen fur Berlin und andere Städte. 2009 erhielt das Projekt in der Strelitzer Strasse 53 den Architekturpreis Berlin. Er ist Mitbegründer von NBBA, Netzwerk Berliner Baugruppenarchitekten, Team Eleven und Instant City.

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