„Brauchen wir mehr Abriss?“

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Frankfurt a.M.: Historisches Museum von 1972 macht Platz für seinen Neubau von LRO, Foto: BKULT 


Nicht neu zu bauen und statt dessen lieber Bestehendes weiter zu nutzen, das steht auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit derzeit hoch im Kurs der Architekturdebatte, spätestens seit der Eröffnung des deutschen Pavillons auf der diesjährigen Architekturbiennale, der auf das Potential des architektonische Bestands verweist.

 

Welche gesellschaftliche Brisanz diese Bestandsdebatte angenommen hat, zeigt sich daran, dass sie mittlerweile schon im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geführt wird. Ausgehend von Heiner Geißlers wohlbegründeter Forderung, die Berliner Siegessäule abzureißen, lief über den Sommer im ZDF-Kulturmagazin Aspekte bis vorherige Woche eine Serie, in der jedermann und jede Frau nach eigenem Gusto mit Wort und Bild zu einem „Schwarzbuch“ der Architektur „von unten“ beitragen durfte. Im Hessischen Rundfunk hatte vorher bereits der Architekt Christoph Mäckler in 50 Folgen unter dem Titel „Hauptsache Kultur“ erklärt, wie man mit den schlimmsten Bausünden umgehen sollte – Abriss inklusive. Nach seinen Plänen wird gerade das „Zoofenster“ in Berlin fertig gestellt, dem das denkmalgeschützte „Schimmelpfenghaus“ zu großen Teilen weichen musste.

 

Es ist eine Debatte heiliger Kühe, tief sitzender Tabus und gebrannter Kinder. Seit Le Corbusier in seinem „Plan Voisin“ 1925 forderte, zentrale Bereiche von Paris großflächig abzureißen, scheuen die Architekten das Thema Abriss wie der Teufel das Weihwasser. Schuldbewusst rezitieren sie das Mantra der gescheiterten Moderne und verdrängen geflissentlich, was alle wissen, aber keiner sagen will: Dass man die Stadt nicht weiterbauen kann, ohne sich mitunter auch von Bestehendem zu trennen – differenziert aber beherzt. Andernfalls gäbe es gar keine Geschichte, die man schützen könnte. Vor Le Corbusier gab es Hausmann, der nicht minder mitleidlos Jahrhunderte alte Stadtquartiere plattmachte, um Platz zu machen für seine neuen großen Boulevards, die wir heute so schätzen. Und auch ein feudaler Kulturmensch wie August der Starke hatte keine Probleme damit, wichtige Teile des Renaissance-Dresdens abzureißen, um seine Elbflorenz-Prachtbauten zu errichten. Und die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.

1991 griff Rem Koolhaas Le Corbusiers Konzept einer „partiellen Tabula Rasa“ in seinem Wettbewerbsprojekt für die „Mission Grande Axe“ in Gestalt eines differenzierten Abrissplanes für La Défense wieder auf, und sorgte damit für hörbares Ausatmen bei seinen Kollegen. Anlässlich der 12. Architekturbiennale machte er mit seinem Ausstellungsbeitrag CRONOCAOS 2010 darauf aufmerksam, dass es im globalen Maßstab keine Strategie für den Denkmalschutz gibt und der Erhaltungseifer der Gegenwart bereits große Teile der Erdoberfläche in einen ewigen Winterschlaf der Nachgeschichte versetzt hat. Eine zentrale Frage unserer Gegenwart lautet daher: Enthält die Vergangenheit wirklich bereits die gesamte Erbinformation der Zukunft, die es nur immer wieder neu zu entfalten gilt, oder gibt es vielleicht wirklich eine Art von Neuheit, die erst dann entstehen kann, wenn Altes auch untergehen darf? Brauchen wir also weniger Erhaltung und mehr Abriss?

 

Christoph Mäckler / 26.9.2012 / 20:03

Architekt, Frankfurt am Main

Ja ...

...zwar jeder Abriss eines Bauwerkes das Verschleudern wertvoller Ressourcen darstellt und schon deshalb prinzipiell abzulehnen ist! Und trotzdem brauchen wir den Mut, Häuser überall dort abzureißen, wo sie den städtischen Raum zerstört haben.Das kann auch Häuser der geschätzten Nachkriegsmoderne betreffen. Sowohl das „Schimmelpfenghaus“ an der Gedächtniskirche in Berlin wie auch das „Zürich-Haus“ am Opernplatz in Frankfurt am Main haben mit ihrer eigenwilligen Architektur der direkten Nachbarschaft großen Schaden zugefügt, der zu städtischer Verslumung geführt hat und den Abriss schon deshalb befördert hat.Und natürlich ist nicht jedes Haus der Nachkriegsmoderne, schon weil es dieser Zeit angehört, von architektonischer Qualität. Wenn Egon Eiermann wüsste, welche Häuser seiner Zeit wir als denkmalwürdig diskutieren, er würde sich im Grabe drehen! Christoph Mäckler, geb. 1951, ist seit 1998 an der Technischen Universität Dortmund Professor am von ihm gegründeten Institut für Stadtbaukunst. Während seines Studiums in Darmstadt und Aachen gründete er 1981 sein eigenes Büro in Frankfurt am Main mit dem er bundesweit zahlreiche und mit Preisen ausgezeichnete Bauten realisiert hat.
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Walter Siebel / 26.9.2012 / 15:31

Stadtsoziologe, Oldenburg

Nein ...

...dass abgerissen wird und abgerissen werden muß ist selbstverständlich. Aber bestimmt nicht mit einer Abrissliste. Sollen damit ähnlich der Denkmalschutzliste abzureißende Gebäude benannt werden über das hinaus, was eh tagtäglich beseitigt wird? Wenn das die Absicht ist, dann wäre zu bedenken:1. Es kann sehr teuer werden, wenn ein noch profitables Gebäude aus anderen als ökonomischen Kriterien beseitigt wird.2. Von wem soll da entschieden werden? Ein Haus kann dem Ästheten mißglückt erscheinen und seinen Bewohnern ein unschätzbares Gefäß ihrer Erinnerungen. Umgekehrt hätte die Bevölkerung den Gasometer Oberhausen sicherlich ohne viel Federlesens abreißen lassen. Nur weil sich einige Architekten und die IBA Emscher Park für ihn eingesetzt haben, gibt es ihn noch.3. Nach welchen Kriterien soll da entschieden werden? Wer erinnert sich noch an den Essay von Adolf Loos über Ornament und Verbrechen? In den 50iger Jahren gab es Subventionen, um die Applikationen von den Spekulationsbauten des 19.Jhh. abzuschlagen. Ende der 60iger begann die Renaissance eben dieser Architektur. Das technische Rathaus in Frankfurt hat einmal einen renommierten Architekturpreis errungen. Jetzt wird es beseitigt. Wann wird der vielleicht wieder preisgekrönte Nachfolgebau abgerissen werden wegen erwiesener Scheußlichkeit? Wie sicher kann man sein, daß die Architektur des WBS70 niemals eine Renaissance erleben wird?4. Das Modell Haussmann braucht einen Napoleon III. Auch wenn danach ein schöneres Berlin herauskäme, diesen Preis würde ich nicht gerne zahlen.5. Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Denkmalschutz und Abriß: Denkmalschutzentscheidungen sind revidierbar, Abrißentscheidungen nicht. Walter Siebel, geb. 1938, ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, mit den Schwerpunkten Regional- und Stadtforschung hat er in zahlreichen wegweisenden Publikationen die Brücke zwischen baukulturellen und gesellschaftspolitischen Themen geschlagen. Träger u.a. des Fritz Schumacher sowie des Schader Preises.
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Michael Schumacher / 25.9.2012 / 21:56

Architekt, Frankfurt am Main

Ja ...

... es in Deutschland, nein wahrscheinlich überall auf der Welt, Häuser gibt, die lieblos, unsensibel und grob errichtet wurden, und ganze Gegenden über lange Zeiträume negativ beeinflussen. Es ist nicht einfach, eine entsprechende Abrissliste aufzustellen, geschweige denn, sie durchzusetzen. Aber hilfreich durchaus. Was könnten die Kriterien für so eine Schwarze Liste sein? Meines Erachtens geht es, wie bei Menschen auch, in erster Linie um die Frage, ob es sich bei einem Haus um einen Zeitgenossen handelt, der etwas für die Gemeinschaft, sprich für die Stadt tut, oder um einen Autisten, der seine Umgebung weder wahrnimmt, und schon gar nicht bereichert. Das kann auf sehr unterschiedlichen Ebenen geschehen. Durch pragmatische Angebote der Nutzung, der Organisation des Raumes, oder die gute handwerkliche Ausführung, bis zu künstlerischen Qualitäten oder auch Fragen des Denkmalschutzes. Eine interessante Aufgabe, die Kriterien zu benennen und eine für die Architektur sinnvolle Diskussion, um das öffentliche Bewusstsein für Qualität (oder deren Gegenteil) zu schärfen. Ich spreche mich definitiv für eine Abrissliste und für Abriss aus (bei gleichzeitig sensibler Erhaltung und Ertüchtigung von Architekturen die etwas taugen), so funktioniert das Leben, man trennt sich von dem, was weder dauerhaft noch schön ist, um Raum für etwas Neues, Besseres zu schaffen. Michael Schumacher, geb. 1957, ist seit 2007 Professor für Entwerfen und Konstruieren an der Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz Universität Hannover. Nach seinem Architekturstudium an der Universität Kaiserslautern, dem Postgraduierten Studium bei Peter Cook an der Städelschule in Frankfurt am Main und Mitarbeit u.a. bei Norman Foster in London gründete er zusammen mit Till Schneider 1988 das Büro schneider+schumacher. Er war Gastprofessor an der Städelschule und ist seit 2004 Landesvorsitzender des Bund Deutscher Architekten (BDA Hessen).
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Fritz Neumeyer / 25.9.2012 / 21:54

Architekturtheoretiker, Berlin

Jein ...

... Abriss ja und freudig, sofern es Banalbauten und Schandflecken betrifft und man einigermaßen sicher sein könnte, dass etwas Besseres in architektonischer und städtebaulicher Hinsicht neu entstünde. Letzteres ist heute allerdings leider auch ein Problem. Fritz Neumeyer, geb. 1946, war von 1993 bis 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Architekturtheorie an der Technischen Universität Berlin. Zuvor lehrte er in Dortmund sowie Princeton und war als Gastprofessor an weiteren Universitäten in den USA, Belgien und Spanien. Als Architekt verantwortete er u.a. mit Manfred Ortner das „Planwerk Innenstadt“ für die City-West in Berlin. Seine Forschungsinhalte und zahlreichen Publikationen reichen von Friedrich Gilly über Mies van der Rohe bis Oswald Mathias Ungers.
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Turit Fröbe / 25.9.2012 / 21:50

Architekturhistorikerin und Urbanistin, Berlin

Ja ...

... Abriss für eine Stadt durchaus belebend sein kann. Aber habt ein Herz für die guten Bausünden und nehmt stattdessen die schlechten! Als Faustregel gilt: je mehr Unverständnis und Wut eine Bausünde in der öffentlichen Betrachtung auslöst, je höher ihr Störfaktor im öffentlichen Raum erscheint, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sich um eine gute Bausünde handelt, die schon wieder eine Bereicherung für ihre Stadt sein kann. Eine gute, originelle Bausünde zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich gut erkennbar aus dem Meer der schlechten Bausünden abhebt. Sie hat eine gewisse Bildqualität, die sich meist darin zeigt, dass der Volksmund ihr Schmäh- oder Spitznamen gegeben hat, und dadurch einen hohen Wiedererkennungswert. Sie sagt mehr über die Stadt, in der sie steht, aus, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag, denn entgegen der landläufigen Meinung ist die gute Bausünde nicht austauschbar, auch wenn sie vordergründig keinerlei Bezug zum umgebenden Kontext ausweist. Jede Stadt hat ihre ureigene Bausündenpolitik und einen ureigene Nährboden auf dem Bausünden gedeihen oder eben nicht!Schlechte Bausünden hingegen brauchen keinen spezifischen Nährboden – sie gedeihen überall und sind in ähnlicher Form hundert- oder tausendfach in allen Städten zu finden. Sie sind austauschbar, rauben den Städten auf weiter Strecke jegliche Unterscheidungskriterien und sind dabei von so penetranter Langeweile und Belanglosigkeit, dass sie ein fast unbemerktes Schattendasein fristen. Leider sind es meistens die guten Bausünden, die der Abrissbirne zum Opfer fallen, während sich die schlechten Bausünden fast unbemerkt weiter ausbreiten können! Turit Fröbe, geb. 1971, studierte Kunstgeschichte und Klassische Archäologie in Marburg sowie Europäische Urbanistik in Weimar. Seit 2005 arbeitet sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Studiengang Architektur der Universität der Künste Berlin.
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Volker Halbach / 25.9.2012 / 21:45

Architekt, Hamburg

Jein ...

...weder mehr ABRISS noch mehr ERHALT kann der Schlüssel für eine zukünftige städtebauliche Debatte sein. Es ist zwar richtig wenn es im globalen städtebaulichen Kontext das Erhaltenswerte und der Denkmalschutz keine entscheidenden Rollen mehr spielen bzw. noch nie gespielt haben. Es mag uns alle sehr erfreuen, mit welcher demokratischen Lockerheit Rem Koolhaas sein Tanztheater in Den Haag überplant. Und es mag auch richtig sein, wenn wir den Worten von Egon Eiermann Glauben schenken, dass der größte Feind des Architekten die Feuerwehr ist. Dennoch bin ich der Auffassung, dass es in der europäischen Stadt stets um den offenen Dialog des Weiterbauens gehen muss. Die stetige Hinterfragung nach der Sinnhaftigkeit des Erhalts, aus denkmalpflegerischen, wirtschaftlichen und nachhaltigen Gründen oder vielleicht aus rein politischen Gesichtspunkten, macht die europäische Stadt aus. Abriss oder Erhalt ist immer eine Frage des Ortes und der zukünftigen Nutzung, gepaart mit wirtschaftlichen und politischen Interessen. Die Vergangenheit eines einzelnen Gebäudes ist in der städtebaulichen Evolution nur ein kleines spezifisches Teil von Erbinformation. Hingegen ist die heterogen ausgewogene Stadt aus Altbau, Neubau und Weiterbau die einzige Erbinformation unserer Gesellschaft die eine dauerhafte Weiterentwicklung unseres städtebaulichen Erbgutes bedeutet. Weiterbauen ist die Synergie zwischen Erhalt und Abriss, Hässlich und Schön, Nützlich und Grotesk, Freud und Leid. Weiterbauen ist ALT und NEU. Weiterbauen ist demokratisch. Weiterbauen ist Europäisch. Weiterbauen sind WIR. Volker Halbach, geboren 1969, Mitbegründer von blauraum Architekten, Hamburg in 2002. Nach dem Studium in Bielefeld, Delft und Miami mehrjährige Mitarbeit bei Eisenman Architects, New York und BRT Architekten, Hamburg. Blauraum hat vor allem mit radikalen Umbaulösungen auch international von sich Reden gemacht.
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Fritz Neumeyer / 25.9.2012 / 21:54

Architekturtheoretiker, Berlin

Jein ...

... Abriss ja und freudig, sofern es Banalbauten und Schandflecken betrifft und man einigermaßen sicher sein könnte, dass etwas Besseres in architektonischer und städtebaulicher Hinsicht neu entstünde. Letzteres ist heute allerdings leider auch ein Problem.

Fritz Neumeyer, geb. 1946, war von 1993 bis 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Architekturtheorie an der Technischen Universität Berlin. Zuvor lehrte er in Dortmund sowie Princeton und war als Gastprofessor an weiteren Universitäten in den USA, Belgien und Spanien. Als Architekt verantwortete er u.a. mit Manfred Ortner das „Planwerk Innenstadt“ für die City-West in Berlin. Seine Forschungsinhalte und zahlreichen Publikationen reichen von Friedrich Gilly über Mies van der Rohe bis Oswald Mathias Ungers.

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