"Ist der Selbstbau
der neue Soziale Wohnungsbau?"

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Gute Gestaltung für alle war ein wesentliches Ansinnen der Bauhäusler. Heute sind allerdings genau diese, einst für die industrielle Massenproduktion entwickelten Möbelentwürfe, nur noch unter Auflage hoher Designlizenzen teuer zu erstehen. Das flächendeckende Versorgungsmonopol für «Bessere Möbel billiger» hält heute IKEA inne. Diese Marktmechanismen unterwandert Van Bo Le-Mentzel mit seinen Bauanleitungen für die an Bauhausklassiker angelehnten Hartz IV Möbel. Man kann sie kostenlos aus dem Netz laden und unschlagbar billig selbst nachbauen.

 

Wesentlich für den Zuspruch, den Do-it-yourself derzeit erfährt, ist neben dem günstigen Preis die Identifikation mit dem Selbstgemachten gegenüber dem Produkt von der Stange. Individualisierung und erschwingliche Kosten sind auch zunehmend fur den Wohnungsbau zentrale Themen – vor allem seit der Soziale Wohnungsbau abgeschafft wurde. Bei den heutigen Alternativmodellen zur konventionellen Wohnraumproduktion wie Bauherrengemeinschaften bleiben Geringverdiener in der Regel außen vor. Warum wendet man das Prinzip Selbstbau also nicht im großerem Maßstab an?

 

Beispiele, die unter Einbezug des „Muskelkapitals“ finanziert wurden, wie das "Wohnregal" der IBA 1987 in Berlin von Nylund, Puttfarken und Stürzebecher, blieben zunächst mehr oder weniger folgenlos. Doch heute, fast dreißig Jahre später, haben sich unsere Gesellschaft und unsere Städte verändert. Einige Menschen arbeiten heute zu viel, während andere arbeitslos sind oder nur über ein sehr geringes Einkommen verfügen, sie dafür aber mehr Zeit (zum bauen) haben. Dabei kommt dem Selbstbau möglicherweise eine neue Bedeutung zu. Das zeigen nicht nur Projekte von Mietshaussyndikaten oder Genossenschaften, die Gedanken des Selbstbaus integrieren, sondern auch die IBA Hamburg mit Grundbau Siedler von BeL Architekten. Der Investor des Projekts will das Konzept weiterverfolgen, auch weil man damit als Bautrager „einen ganz anderen Markt von Menschen“ (Bauwelt, v. 7. 12.2012) erschließt. Heißt es angesichts dieser Entwicklungen, steigender Immobilienpreise und zunehmendem Wohnraumbedarfs also nicht mehr kaufen statt mieten, sondern selbstbauen anstatt kaufen? Ist der Selbstbau der neue Soziale Wohnungsbau?

 

Redaktion BKULT / 10.2.2014 / 17:57

Jein ...

Resümee „Ist der Selbstbau der neue Soziale Wohnungsbau?“ Die meisten Beitragenden, egal ob sie mit Ja oder Nein antworten,  stützen ihre Argumentation zunächst auf den Unterschied zwischen „Sozialem Wohnungsbau“ und Selbstbau: Während der „Soziale Wohnungsbau“ als Mietwohnungsbau für auf Hilfe angewiesene Gruppen unserer Gesellschaft konzipiert sei, stehe demgegenüber der Selbstbau als Modell derjenigen, die über Ihren Wohnraum mitbestimmen wollten und sich letztendlich selbst helfen könnten. Auf die drohende Selbstüberschätzung der „Muskelkraft“ bzw. handwerklichen Fähigkeiten verweist Selbstbau-Veteran Günther Ludewig. Den Appell an die Politik, sich ihrer Verantwortung für einen zeitgemäßen „sozialen Wohnungsbau“ zu stellen, den die Frage impliziert, äußern die Architekten (Hütten und Paläste und Britta Jürgens). Die von der Redaktion angefragten Wohnungsbaugesellschaften hüllen sich in Schweigen. Aber die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher kontert, dass der öffentlich geförderte Wohnungsbau sehr wohl als Budgetposten im Berliner Haushaltsplan enthalten sei. Wie mehrere andere Statementgeber betont auch sie die Bedeutung von vielfältigen Akteurskonstellationen und Finanzierungsmodellen für die Stadtentwicklung. Gegen Ende der Debatte entfaltet sich im Zwiegespräch von Niloufar Tajeri und Andrea Contursi das eigentliche Dilemma: Auf "Selbstbau" zu setzen, unterstütze den Rückzug der staatlichen Verantwortlichkeit, so Niloufar Tajeri. Wie Rainer Hehl stellt sie die konstruktive Gegenfrage, wie man Wohnungsbau heute wieder „sozial“ gestalten könne. Vorgeschlagen werden nicht nur ein anderer Umgang mit Baustandards, sondern auch ein Umdenken in Richtung flexibler Systeme und neuer Typologien. Für uns führt diese BKULT-Runde damit zur nächsten Frage: „Was aber ist heute noch „sozial“?“
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Niloufar Tajeri / 23.1.2014 / 18:13

Nein ...

Selbstbau ist "Selbst-Bau" - schon der Begriff verdeutlicht, dass "selbst" nicht ohne weiteres mit "sozial" gleichgesetzt werden kann. Auch wenn Selbstbau oft in einem Kollektiv stattfindet - ein Kollektiv ist keineswegs Ausdruck der gesellschaftlichen Gesamtheit. Man muss zunächst Teil eines Kollektivs werden, d.h. generell akzeptiert werden. Die Auflagen hierfür sind dabei oft nicht an neutrale, gesetzliche Aspekte gebunden, sondern an selbstdefinierten. Nach welchen Prinzipien, entscheidet das Kollektiv meist selbst, und inzwischen sogar die Architekten. Wenn man sich nun einige Ergebnisse anschaut, lässt sich nicht selten eine Homogenität erkennen. Guess why?Ich finde die Frage, wie man den sozialen Wohnungsbau "updaten" kann hingegen viel spannender. "Muskelkraft" hierfür vorauszusetzen widerum finde ich problematisch - was, wenn ich im Rollstuhl sitze, wenn ich eine Alleinerziehende Mutter bin, wenn ich alt bin, was wenn ich einen kranken Partner habe, den ich versorgen muss? "Arbeitslos = viel Zeit" ist eine viel zu simple Gleichung! Selbstbau und Muskelkraft sollten nicht zu wichtig werden, denn damit werden viele Gruppen automatisch ausgeschlossen. Hingegen sollte man sich fragen, wie sozialer Wohnungsbau attraktiv, menschlich und "heimisch" geplant und umgesetzt kann. Allein prozessorientierte Änderungen werden dabei nicht weiterhelfen. Man müsste schon auch typologische und städtebauliche Ideen und Konzepte mitdenken.   Niloufar Tajeri (* 1980) studierte Architektur an der Universität Karlsruhe. Sie ist Mitarbeiterin des Ekut.lab am KIT und Stipendiatin des Jahrgangs 2013-2015 an der Akademie Schloss Solitude. Sie war zuvor als Redakteurin bei der ARCH+ sowie als Ausstellungsarchitektin bei der Grafikagentur onlab tätig. Sie arbeitete als Projektassistentin von Michael Schindhelm in Dubai sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Volume Magazine und dem niederländischen Architekturinstitut (NAi) in Amsterdam und Rotterdam. Während ihres Studiums war sie als Planerin für die Aga Khan Trust for Culture in Herat und Kabul tätig. 
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Britta Jürgens / 23.1.2014 / 17:10

Architektin, Berlin

Ja ...

Selbstbau ist nicht neu, aber Selbstbau ist grundsätzlich anders als Sozialer Wohnungsbau: Im Selbstbau ermächtigen sich Menschen gegenseitig, durch Kooperation etwas zu erschaffen, was sie allein nicht erschaffen könnten. Dagegen hat der Soziale Wohnungsbau Menschen mit Wohnungen 'versorgt', die angeblich selbst nicht in der Lage dazu sind. Es wurde ihnen Wohnraum angeboten, von dem einfach angenommen wurde, dass er ihren Wünschen und Bedürfnissen entspräche. Dabei wissen die meisten Menschen doch selbst am allerbesten, wie sie wohnen möchten. Heute fordern immer mehr Menschen, an ganz unterschiedlicher Stelle, mehr Möglichkeiten der direkten Mitsprache und der aktiven Beteiligung. Und immer mehr Menschen wünschen sich diese Chance auch bei der Herstellung ihrer räumlichen Basis. Viele Selbstbauer haben bereits gezeigt, dass dies möglich ist. Darunter sind auch Geringverdiener. Damit solche Projekte aber für breitere Bevölkerungsgruppen möglich werden, sind neue Formen der staatlichen Unterstützung notwendig.  Britta Jürgens, geb. 1962, hat mit Matthew Griffin 1992 das Architekturbüro Deadline gegründet. Sie interessieren sich für strukturelle Veränderungen - technologische, soziale und ökonomische - am Ende des industriellen Zeitalters und deren Auswirkungen auf Architektur und Stadtplanung. Sie schreiben den Blog http://www.locallygrowncity.net und sind Mitbegründer zahlreicher Initiativen unter anderen http://www.diy-iba.net und www.teameleven.org.
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andrea contursi / 19.1.2014 / 10:53

Dipl.-Ing. Architekur, Köln

Ja ...

Der soziale Wohnungsbau im klassischen Sinn war Teil des fordistischen Staats. Dieses System wird zunehmend vom internationalen Neoliberalismus in Frage gestellt.Wie der Berliner Fall demonstriert, ist sozialer Wohnungsbau in Deutschland nicht mehr rentabel und wird von den meisten Menschen als Inbegriff für qualitativ geringwertiges, meist anonymes Wohnen verstanden. Einerseits ist es aufgrund der immer knapper werdenden kommunalen Budgets schwierig, im sozialen Wohnungsbau die konstruktiven und klimatischen Standards zu erreichen, die heutzutage in Deutschland praktisch obligatorisch sind. Anderseits sind Menschen in der Ära der Information, nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Vielfalt von Lebensstilen und Haushaltstrukturen, immer weniger geneigt, von oben bestimmte Richtlinien in der Organisation Ihres eigenen Lebensraums pauschal zu akzeptieren.Die Anfrage nach einem „costumer oriented design“ wird also nicht nur in den gehobenen Sozialschichten wachsen. Ich glaube, dass in der Zukunft Formen des partizipativen, auf die Interaktion zwischen Planern und Kunden beruhendes Design, immer öfter gefragt werden (mittlerweile können viele Kunden schon mit einfachen CAD-softwares umgehen). Damit können sicherlich auch Kosten beschränkt werden. In diesem Rahmen kann Selbstbau behilflich sein, vielleicht unter der Bedingung, dass die wesentlichsten infrastrukturellen und bautechnischen Aspekte unter der Kontrolle der Planer bleiben. Diese Entwicklung kann aber nur unter der Voraussetzung stattfinden, dass Bauämter und Stadtverwaltungen eine Sensibilität für alternative Formen des Wohnungsbaus entwickeln. Es ist also notwendig, Ausnahmen zu den herkömmlichen Baustandards und vor allem alternative Formen der Baugrundstücksnutzung (z.B. temporäre Siedlungen oder Containerbau) zu ermöglichen und zu genehmigen. Andrea Contursi, geb. 1973 in Salerno, hat an der Universität “Federico II” in Neapel und an der Bauhaus-Universität Weimar Architektur studiert und nach seinem Diplom 2006 dort im Fach Raumplanung u. Raumforschung über den Kollektivplan und den Wiederaufbau Berlins 1945 - 1950 promoviert.
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Hanna Rohst / 17.1.2014 / 10:44

Architekturstudentin der TU - Berlin

Jein ...

Ich denke, damit wirklich diejenigen, die finanziell nicht gut ausgestattet sind, eine Chance haben, ihr eigenes Heim zu bauen, muß ein neuer finanzieller/sozialer "Boden gelegt" werden. Er muss diese Menschen davor retten, durch das soziale Netz zu fallen und muss ihnen einen Handlungsspielraum geben. Das derzeitige Verhältnis zwischen Jobcentern, Bürgern und marktwirtschaftlichen Bedingungen/ Arbeitsmarktansprüchen lässt es kaum zu, an einen anderen Wohnungsbau, als den institutionellen Wohnungsbau zu denken.Der Selbstbau von Möbeln für den Eigenbedarf ist dabei die eine Sache. Sie ist wirklich nicht so schwer zu bewerkstelligen. Aber wenn es um die Schaffung von Eigenheim geht, reicht es nicht aus, alle paar Jahre wieder Geld aus dem Bundestopf in den gegenwärtigen mehr oder weniger sozialen Wohnungsbau zu stecken. Vielleicht sollte man Sozialen Wohnungsbau auch erstmal wieder neu definieren?!Hanna Rohst ist gelernte Tischlerin und B.sc. Architektin BUW. Neben ihrem Masterstudium im Fach Architektur an der TU Berlin entwirft, plant und verkauft sie in selbständiger Tätigkeit Möbel. 
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Verena Schmidt und Urs Kumberger / 16.1.2014 / 19:29

Architekten, Berlin

Nein ...

Es fehlt nicht an Architekten, die gerne mit Selbstbaugerüsten den sozialen Wohnungsbau revolutionieren würden. Es fehlt eher an der vermeintlichen Zielgruppe, die gleichzeitig über handwerkliche Ambitionen und das nötige Kapital für die Startinvestition verfügt. Selbstbau ist nur sehr begrenzt mit einem Mietmodell kompatibel und hat zu spezielle Anforderungen für eine großmaßstäbliche Umsetzung. Die Potentiale des Selbstbaus sollten jedoch nicht nur in ökonomischen Kategorien gedacht werden. Ein Selbstbauer ist nicht unbedingt ein Geringverdiener. Vielmehr ist er jemand, der nach individualisierten Formen des Wohnens und nach Alternativen zur Massenware sucht oder einfach Lust am Handwerken und Gestalten hat. Das Interessante daran, ist der persönliche Beitrag zur Stadt. Er fördert die Identifikation des Nutzers mit seiner Nachbarschaft. Im Idealfall entstehen dabei eine andere Ästhetik und neuen Typologien, welche die gesichtslose Investorenmonotonie zugunsten einer größeren stadträumlichen Diversität aufbrechen. Das Modell Selbstbau ist, ähnlich wie Baugruppen und Genossenschaften, nur für bestimmte Gruppen oder einen begrenzten Maßstab anwendbar. Alle diese Modelle haben als Experiment begonnen und tragen in ihrer Summe zur urbanen Mischung bei. In der Wohnungsfrage geht es letztlich nicht um die Masse, sondern um das „Wer“, „Wo“ und „Wie“. Das Experimentieren mit alternativen Akteurskonstellationen, neuen Investitions- und Produktionsformen, differenzierten Standards, etc. kann immer wieder neue Impulse für eine soziale und räumliche Vielfalt liefern. Wichtig ist dabei, dass die Politik die nötigen Voraussetzungen schafft und eine sinnvolle städtebauliche Integration der einzelnen Strategien ermöglicht. TELEINTERNETCAFE wurde 2011 von Manfred Eccli, Marius Gantert, Andreas Krauth, Urs Kumberger und Verena Schmidt in Berlin gegründet. Als Gruppe von fünf Architekten beschäftigt sich TELEINTERNETCAFE mit den Themenfeldern Architektur und Urbanismus. Bei der Zusammenarbeit in wechselnden Konstellationen und im Austausch mit Experten verschiedener Disziplinen werden individuelle Kompetenzen projektbezogen gebündelt. Die Auseinandersetzung mit dem Ort und dem Situativen bildet jeweils den Ausgangspunkt für die Suche nach neuen, offenen Formen von Stadt.
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Karin Hartmann / 15.1.2014 / 12:50

Autorin, Bloggerin und Freie Architektin, Paderborn

Nein ...

Aktuelle Tendenzen, Teile des Bauens zum Selbermachen frei zu geben, entstehen nicht unbedingt aus einer sozialen Notwendigkeit, sondern aus dem Wunsch der Beteiligten nach Partizipation. Die DIY-Welle, die seit einigen Jahren das Land ergreift, funktioniert weitgehend unabhängig vom sozialen Status. Motivation für das Gestalten mit eigenen Händen und Fähigkeiten ist die eigene Auseinandersetzung mit den Dingen, und die damit einhergehende Selbstwirksamkeit, oft unterstützt durch eine starke Community von Gleichgesinnten. Der Trend versteht sich als Gegenbewegung zum Konsumismus und Individualismus und ordnet sich ein in die Nachhaltigkeitsdiskussion. Eine längere Nutzung von Gütern, Reparieren und Tauschen folgen dem Wunsch, die Dinge im wahren Sinn wieder mehr ‚in die Hand zu nehmen’. Es ist absehbar, dass unsere Ressourcen nicht ausreichen, um unseren Lebensstil in der vom Kapitalismus vorschlagenden Weise fortzuführen. Außerdem wächst die Erkenntnis, dass uns dieser Lebensstil nicht zufrieden macht. Das Bauen verursacht immer noch 50% unserer gesamten Abfälle. In DIY-Projekten werden mehr gebrauchte Stoffe und Materialien verwendet. Durch die oft gegebene Rückbaubarkeit bleibt das System flexibler, damit wird weniger Müll verursacht. Selberbauen, Upcyceln und Wiederverwenden schaffen eine größere Identifikation und Zufriedenheit mit Gütern - und nun eben auch mit Häusern, Wohnungen und Stadtvierteln. Für die Architektenschaft fordert diese Entwicklung neue Eigenschaften. Während die meisten von uns noch zu Entwerfer/innen mit Gestaltungshoheit geschult wurden, geht es hier darum, den Gestaltungswillen der Nutzer/innen nicht nur zur Not zu akzeptieren, sondern zu wünschen, zu fördern und zu moderieren. Während wir unsere fertigen Bauprojekte tunlichst fotografieren, bevor Nutzer/innen einziehen, werden farbige Sonnenschutzrollos, Blumenampeln und wilder Balkonsichtschutz zu zentralen Gestaltungselementen. Das waren sie schon immer - die eigene Gestaltung der Bürger/innen bekommt aber durch eine Beteiligung auf Augenhöhe eine ganz neue Relevanz. Projekte von Lacaton & Vassal, aber auch von BeL greifen diese Bedürfnisse auf. Selberbauen greift in allen Maßstäben - von der individuellen Füllung einer Rohbauhülle über die eigene Entwicklung von Stadtvierteln bis hin zum Bau von eigenen Möbeln. Dieser Trend hat das Zeug, zu einer eigenen, ernst zu nehmenden Strömung in der Architektur und Baukultur zu werden, nicht nur im Sozialen Wohnungsbau.  Karin Hartmann ist Autorin, Bloggerin und Freie Architektin. 2013 hat sie die Initiative ‚Baukultur Paderborn‘ gegründet. In ihrem Blog www.baukulturpaderborn.de schreibt sie zu lokalen und überregionalen Themen und Tendenzen der Baukultur.
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Rainer Hehl / 14.1.2014 / 19:09

Architekt und Stadtplaner, TU Berlin

Nein ...

Selbst im Bereich des informellen Städtebaus (wo es nun wirklich um kostengünstigen Wohnungsbau geht) bauen sich die Bewohner die Häuser nicht selbst. Wohnungen werden dann billig erstellt, wenn sich die Bauproduktion (in diesem Falle ein informelles Baugewerbe) auf diesen Bereich spezialisiert, Standards nicht beachten werden müssen und vor allem auch nach dem Wachstumsprinzip gebaut wird. Flexibilität, Anpassungsfähigkeit an konkrete Bedürfnisse und die Möglichkeit eines graduellen Upgrade (sobald es die Mittel ermöglichen) machen informelle Stadtstrukturen zu den erfolgreichsten Wohnmodellen für niedere Einkommensschichten.Eine Alternative zum üblichen ‚Sozialen Wohnungsbau’ (ein Begriff der meiner Meinung nach völlig falsch gewählt ist) wird also nicht in erster Line durch die Eigenleistung der Bewohner ermöglicht, sondern  durch die Offenheit einer städtischen Produktion, die sich jeweils an die veränderten Verhältnisse und die Entwicklung der Bewohnerprofile anpassen kann. Dieser Aspekt ist im Zusammenhang mit dem Thema „Sozialer Wohnungsbau“ auch deshalb fundamental, da es an der Zeit wäre die Stigmatisierung von sozial Schwachen durch Labels wie „Sozialer Wohnungsbau“ und „Hartz IV“ zu beenden, um Wohnkonzepte zu entwickeln, die einen Beitrag zur sozialen Mobilität leisten.Die Idee durch Selbstbau den Sozialen Wohnungsbau zu verbessern, so wie es bei der Transformation von Ikea-Möbelteilen zu schicken Designerstücken der Fall ist, lenkt meiner Meinung nach die Diskussion über kostengünstiges Wohnen in eine völlig falsche Richtung. Stattdessen sollte man sich besser Gedanken darüber machen wie man durch das Überdenken von Baustandards und durch die Förderung von Bewohner-organisierten, kooperativen Wohnprojekten eine neue populäre Baukultur entwickelt, die eine Verbesserung der Wohnqualität über Zeit und damit auch eine Wertsteigerung kostengünstiger Architektur erst möglich macht.  Prof. Dr. Rainer Hehl ist Architekt und Stadtplaner und unterrichtet derzeit als Gastprofessor an der TU Berlin. In seiner Doktorarbeit erforschte er Urbanisierungsstrategien für informelle Siedlungsgebiete mit Fallstudien in Rio de Janeiro. Neben mehreren Publikationen zum Thema ('Building Brazil', 'Informalize! – On the Political Economy of Urban Form‘/Ruby Press, u.a.) und Vorträgen zum internationalen Städtebau und zur populären Architektur ist Rainer Hehl Leiter von Surplus, einer Kooperationsplatform für städtische Interventionen.
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Regula Lüscher / 14.1.2014 / 12:18

Senatsbaudirektorin, Berlin

Jein ...

Ein Selbstbau ist sicherlich ein interessantes Modell der „Wohnungsproduktion“ und gehört genau so ins „Repertoire“ der Stadtentwicklung und des „Stadt Machens“ wie der institutionelle Wohnungsbau durch freie Träger, Investoren, Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, Baugruppen, Einzelpersonen, etc.Gemischte und vielfältige, sozial durchmischte Stadt entsteht zu einem wichtigen Teil aus unterschiedlichen Akteurskonstellationen und Finanzierungsmodellen. Dabei ist der Selbstbau ein Motor für besondere, individuelle und auf die Bewohner zugeschnittene gestalterische Lösungen und ruft eine hohe Identifikation der Nutzer mit ihrem Haus hervor. „Stadt Machen“ funktioniert aber immer auf vielen, nebeneinander liegenden Wegen.Vor allem das Unterschiedliche macht eine lebendige Stadtgesellschaft aus. Öffentlich geförderter Wohnungsbau ist seit dem Beschluss des Haushaltsplanes vom 12.12.2013 durch das Abgeordnetenhaus von Berlin mit Doppelhaushalt 2014/15 wieder als Budgetposten (320 Mio. Euro) für die nächsten 5 Jahre enthalten. Berlin bekennt sich damit zu seiner Verantwortung, bestimmte Bevölkerungsgruppen, die aus finanziellen, familiären und persönlichen Gründen, große Schwierigkeiten haben, sich selbst mit preiswertem Wohnraum zu versorgen - wie Alleinerziehende, Familien mit pflegebedürftigen Personen, Berufsanfänger mit hohem Arbeitspensum, ältere Menschen darin zu unterstützen, in Berlin bezahlbar wohnen zu können.Der „soziale Wohnungsbau“ hat damit ebenso seine Berechtigung wie der Einsatz von Muskelkapital eines selbstbauenden Nutzers. Regula Lüscher studierte an der ETH Zürich Architektur und war zunächst im eigenen Architekturbüro tätig. 1998 wechselte sie in das Amt für Städtebau der Stadt Zürich, und war dort von 2001 bis 2007 als stellvertretende Direktorin tätig. Seit 2007 ist Lüscher Senatsbaudirektorin im Range einer Staatssekretärin in Berlin. Zudem ist sie Aufsichtsratmitglied mehrer Wohnungsbaugesellschaften und Honorarprofessorin an der Universität der Künste in Berlin.
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Günther Ludewig / 14.1.2014 / 12:17

Architekt, Berlin

Nein ...

Selbstbau ist eine feine Sache – wenn man sie sich leisten kann.Die allermeisten Erbauer von Haus- und Eigentum sind aber besser beraten, in dem Beruf zu arbeiten, den sie gelernt haben. Damit verdienen sie überwiegend mehr Geld als sie durch den ersparten Lohnanteil (Material muss ja trotzdem gekauft werden) erwirtschaften können. Zumal es sich mutmaßlich um Tätigkeiten handelt, für die der Selbstbauer keine Ausbildung genossen hat – ‚Learning by Doing' ist in der Gebäudeerrichtung einfach zu teuer und zu gefährlich.Damit meine ich keineswegs, dass der gelernte Profi immer Topqualität bringt und der ungelernte Selbstbauer alles zweimal bauen muss, bevor es akzeptabel ist. Für beide Fälle haben wir zahlreiche gegenteilige Erfahrungen gesammelt. Wiederholt haben wir mit Begeisterung eine besondere Ausführungssorgfalt und Akkuratesse bei Selbstbauleistungen festgestellt – nur hat diese eben (unbezahlt und unbezahlbar) lange gedauert. Auch ist das Bewusstsein insbesondere für gesundheitsverträgliche Baustoffe und/ oder nachwachsende Rohstoffe bei den Eigenbauern und Eigennutzern erheblich ausgeprägter als bei manchem bezahlten Profi!Man darf sich – bei allem Respekt – auch nicht selbst überschätzen: Mit Wochenendeinsätzen ist es nicht getan. Ein Selbstbauer schafft im Durchschnitt ein Lohnäquivalent von bis zu ~25.000 €/a und das aber nur bei „fehlerarmem“ Fulltime-Einsatz. Natürlich kann eine Baugruppe, die wechsel- und gegenseitig eine Wohnung nach der anderen baut, ein Lösungsansatz sein.Man muss aber unbedingt differenzieren zwischen Selbstbau im Rohbau und Selbstbau im Ausbau:Während es bei der Herstellung des Tragwerks und der technischen Infrastruktur darauf ankommt, das Bauwerk und die Baumaterialien schad- und fehlerfrei zügig einzubauen und nicht durch lange Bau- und Lagerzeiten zu gefährden – was durch gute Baustellenorganisation und kurze Bauzeiten und mit Hilfe der erf. professionellen Werkzeuge und Geräte gelingt –, kommt es beim Ausbau nicht so sehr auf kurze Bauzeittakte an. Ist die Hülle erst geschlossen, bleibt die Witterung draußen. Jetzt kann der Bau auch mal einige Tage oder Wochen ruhen, ohne Schaden zu nehmen. Auch kann man ggf. schon in einem „Ausbau“ wohnen, vorausgesetzt gewisse Komforteinbußen finden Akzeptanz. Das spart die Kosten der Parallelmiete. Aber die Familienmitglieder müssen mitspielen, wenn Kücheneinrichtung, Fußböden oder Möbel u.s.w noch fehlen (das dauert manchmal Jahre…). Bauen hat ein großes Stresspotential – Selbstbauen erst recht!Würde die Frage lauten: „Ist der Selbst-Ausbau eine brauchbare Form, den sozialen Wohnungsbau zu ermöglichen“, hätte ich mit einem beherzten „durchaus – und zwar mit professioneller Anleitung“ geantwortet, denn Internetwissen ersetzt keinesfalls eine mehrjährige Handwerkerausbildung oder gar ein Architektur-/ Ingenieursstudium. Der Architekt Dr.-Ing Günther Ludewig führt seit knapp drei Jahrzenhnten ein Architekturbüro in Berlin, das sich auf energieeffiziente und ökologische Bauweisen spezialisiert hat. Überwiegend sind es Projekte, bei denen regenerative Energiesysteme und nachwachsende Baustoffe zum Einsatz kommen, wofür auch der Name des Büros steht: sol•id•ar = Solar - Idee - Architektur. Auch selbstorganisierte Baugemeinschaften mit Eigenleistung der Bauherren waren darunter - u.a. Wohnhäuser auf der Etage im sog. Ökohaus-Berlin (1986 -1990). Aktive Mitgliedschaften im "Bund Architektur und Umwelt", "Lehmbaukontor" und der "deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie" führen zu "Horizonterweiterungen über den eigenen Tellerrand" hinaus.
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Nanni Grau und Frank Schönert / 14.1.2014 / 11:19

Architekten, Berlin

Nein ...

Die Verantwortung zur Förderung des Baus von Wohnungen für benachteiligte soziale Gruppen, die ihren Wohnungsbedarf nicht über den freien Markt decken können, muss in der öffentlichen Hand liegen. Darüber hinaus ist sozialer Wohnungsbau im klassischen Sinne Mietwohnungsbau. Selbstbau bedeutet dagegen Bauen mit wenig Geld und viel Muskelkraft zur Bildung von privatem, selbst genutztem Eigentum. Es handelt sich also um ein Gegensatzpaar, den Unterschied machen die Besitz- und Nutzungsverhältnisse. Die Marke Eigenbau steht jedoch auch für das Unterlaufen konventioneller Planungs- und Bauprozesse durch Improvisation, Eigeninitiative und den Wunsch nach Realisierung individueller Lebensentwürfe. Genau darin sehen wir ihr eigentliches Potential. ABER wie könnten Selbstbaustrategien in den sozialen Wohnungsbau kommen? Der Schlüssel dazu findet sich in Projekten, die mit der Vergemeinschaftung des durch Eigenleistung erstellten Wertes arbeiten. Damit ist die gemeinschaftliche Realisierung eines Wohnungsbaus durch eine Gruppe von Personen gemeint, wobei das Gebäude aber nicht den einzelnen Personen, sondern einer Genossenschaft gehört. Ein solches Projekt wurde kürzlich durch die ehemaligen Betreiber der Bar 25 am Berliner Holzmarkt angestoßen und soll ab diesem Jahr umgesetzt werden. Hier soll der massive Einsatz von Eigenleistungen die Baukosten soweit reduzieren, dass zum einen günstig vermietbare Flächen entstehen. Zum anderen sollen die entstehenden Gebäude mittels selbstorganisierter An-, Um-, und Weiterbaubarkeit flexibel und langfristig entwickelbar sein und so den Erhalt von funktionalen und gestalterischen Freiräumen gewährleisten. Und genau an diesem Punkt ist wieder die öffentlichen Hand gefragt: wo sind die Köpfe (bei den Wohnungsbaugesellschaften, der Politik, etc.) die überhaupt die Rahmenbedingungen für einen modernen, sozialen Wohnungsbau schaffen, die Experimente wie am Holzmarkt und anderswo aufnehmen und in Ihren Strukturen weiterdenken? An guten, erfahrenen oder experimentierfreudigen Architekten fehlt es sicherlich nicht. Noch sollen ja auch Grundstücke in Besitz der Stadt sein.   Nanni Grau und Frank Schönert haben an der UdK Berlin Architektur studiert und führen seit 2004 das Architekturbüro Hütten & Paläste, Architektur, für alternative, urbane Wohnformen. Derzeit arbeiten sie am Projekt „Holzmarkt“, einem urbanen Dorf für kreatives Gewerbe an der Berliner Spree. 
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andrea contursi / 19.1.2014 / 10:53

Dipl.-Ing. Architekur, Köln

Ja ...

Der soziale Wohnungsbau im klassischen Sinn war Teil des fordistischen Staats. Dieses System wird zunehmend vom internationalen Neoliberalismus in Frage gestellt.

Wie der Berliner Fall demonstriert, ist sozialer Wohnungsbau in Deutschland nicht mehr rentabel und wird von den meisten Menschen als Inbegriff für qualitativ geringwertiges, meist anonymes Wohnen verstanden. Einerseits ist es aufgrund der immer knapper werdenden kommunalen Budgets schwierig, im sozialen Wohnungsbau die konstruktiven und klimatischen Standards zu erreichen, die heutzutage in Deutschland praktisch obligatorisch sind. Anderseits sind Menschen in der Ära der Information, nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Vielfalt von Lebensstilen und Haushaltstrukturen, immer weniger geneigt, von oben bestimmte Richtlinien in der Organisation Ihres eigenen Lebensraums pauschal zu akzeptieren.

Die Anfrage nach einem „costumer oriented design“ wird also nicht nur in den gehobenen Sozialschichten wachsen. Ich glaube, dass in der Zukunft Formen des partizipativen, auf die Interaktion zwischen Planern und Kunden beruhendes Design, immer öfter gefragt werden (mittlerweile können viele Kunden schon mit einfachen CAD-softwares umgehen). Damit können sicherlich auch Kosten beschränkt werden. In diesem Rahmen kann Selbstbau behilflich sein, vielleicht unter der Bedingung, dass die wesentlichsten infrastrukturellen und bautechnischen Aspekte unter der Kontrolle der Planer bleiben. Diese Entwicklung kann aber nur unter der Voraussetzung stattfinden, dass Bauämter und Stadtverwaltungen eine Sensibilität für alternative Formen des Wohnungsbaus entwickeln. Es ist also notwendig, Ausnahmen zu den herkömmlichen Baustandards und vor allem alternative Formen der Baugrundstücksnutzung (z.B. temporäre Siedlungen oder Containerbau) zu ermöglichen und zu genehmigen.

 

Andrea Contursi, geb. 1973 in Salerno, hat an der Universität “Federico II” in Neapel und an der Bauhaus-Universität Weimar Architektur studiert und nach seinem Diplom 2006 dort im Fach Raumplanung u. Raumforschung über den Kollektivplan und den Wiederaufbau Berlins 1945 - 1950 promoviert.

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